Was die Wireless-Technologien anbetrifft, ist 5G mit der Option, Campusnetze zu errichten, nicht allein. Campusnetze auf Flughäfen oder in Messehallen sind ja nichts spektakulär Neues – WLAN-Campusnetze gibt es in größeren Einrichtungen ja schon lange. Genau genommen wären solche WLAN-Campusnetze auch für viele industrielle Anwendungen geeignet. Abgesehen von harter Echtzeit wären die Logistikanwendungen, die ich vorher erwähnt habe, mit WLAN ebenfalls möglich. Und übrigens entwickelt sich auch WLAN gerade weiter. Die WiFi-6-Spezifikation ist jetzt verabschiedet, und die großen Protagonisten in den USA, die hinter WiFi 6 stehen, sagen einerseits, es werde eine Koexistenz von WiFi 6 und 5G-Campusnetzen geben, aber sehen andererseits auch viele Use Cases, die aus ihrer Sicht gar nicht in ein 5G-Campusnetz gehören, sondern mit WiFi 6 abgedeckt werden können.
Der große Vorteil von Mobilfunknetzen war ja bisher, dass es im Gegensatz zu anderen Funknetzen ein Seamless Handover gibt. Im WLAN hat dies bisher vollständig gefehlt, aber das ändert sich gerade durch WiFi 6. Und insofern denke ich: 5G-Campusnetze werden auf der einen Seite durch WiFi 6 Konkurrenz bekommen und auf der anderen Seite dadurch, dass Ethernet sich weiterentwickelt und noch lange nicht am Ende angekommen sein wird.
Wie schaut es bei WiFi 6 mit Latenzzeiten aus?
Zum Thema Latenzzeiten äußern sich die großen Protagonisten, allen voran Cisco, gar nicht und sagen, dass dieses Thema nicht in den Requirements enthalten ist. Das ist der große Unterschied zu 5G-Campusnetzen nach Release 16.
Also wird man davon ausgehen müssen, dass WiFi 6 in puncto Latenzzeiten nicht das leisten können wird, was 5G leisten kann?
Oder von unterschiedlichen Anwendungen – vielleicht entwickelt es sich dahin, dass Campusnetze in der Industrie eher ein Thema für 5G werden, zumindest wenn entsprechend kurze Latenzzeiten gefordert sind, und alle anderen Campusnetze, sei es auf Flughäfen oder in Messehallen, eher ein Thema von WLAN bleiben.
Es gibt ja Bemühungen, OPC UA auf TSN aufzusetzen. Wäre es technisch auch möglich, das Package „OPC UA over TSN“ wiederum auf 5G aufzusetzen und drahtlos zu übertragen?
Technisch machbar ist dies sicherlich. Aber die Frage ist hier, ob alles, was technisch machbar ist, auch in konkreten Anwendungen sinnvoll ist. OPC UA und 5G wären sicherlich ein Dreamteam, wenn es darum geht, auf einem industriellen Campus Geräte miteinander zu vernetzen, gerade auch unter dem Aspekt, dass zu 5G-Campusnetzen und generell zur 5G-Technologie letztlich auch die Massive Machine-Type Communication gehört, also das Ziel, beispielsweise 1 Million Devices auf einem Quadratkilometer in ein solches Netz zu integrieren. Da sehe ich für OPC UA jede Menge Anwendungen. Aber ob man die Kombination „OPC UA over TSN“ dann auch in einem 5G-Campusnetz realisieren muss, halte ich für fraglich. Es wird durchaus auch in Zukunft viele Argumente geben, hin und wieder ein Kabel zu ziehen.
Für welche Anwendungen bieten sich also 5G-Campusnetze besonders an, und welche Anwendungen werden eher drahtgebunden bleiben?
Bei 5G-Campusnetzen gehe ich in erster Linie von mobilen Anwendungen aus. Typische mobile Anwendungen sind autonome Roboter- oder Flurförderfahrzeuge. Was sicherlich auch kommen wird, sind Ortungssysteme, also Indoor- oder In-Campus-Ortungssysteme, bei denen die Position beispielsweise von Behältern über Tags mit 5G-Elektronik abgefragt wird. Batteriebetriebene Sensoren habe ich schon genannt; hinzu kommen einfache, zeitkritische Anwendungen, die keine Echtzeit unterhalb von 1 ms benötigen.
Als auch in Zukunft drahtgebunden betrachte ich Anwendungen mit großen Datenvolumina und hohem Energieverbrauch, also beispielsweise High-Speed-Kameras in der Qualitätssicherung, die viele Bilder mit hoher Geschwindigkeit aufnehmen und an einen Machine-Learning-Algorithmus transportieren. Sie brauchen viel Strom und damit ein geeignetes Kabel, sodass ich auch die Daten drahtgebunden übertragen kann. Und bei drahtgebundener Datenübertragung bleibt es natürlich auch, wenn es um harte Echtzeit mit Latenzzeiten im Sub-Millisekundenbereich geht.
Wird also die Zukunft in einer Koexistenz von drahtlosen und drahtgebundenen Standards liegen?
Ja, absolut.