Interview mit Dominik Reßing von MSC

Die Mär vom Standardprodukt

29. September 2017, 14:06 Uhr | Paulina Würth
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

» Spezifische Anforderungen führen zu spezifischen Problemen und wir können dazu Lösungen anbieten«

Wo sehen Sie MSC im Ranking mit anderen Herstellern und was unterscheidet Sie von Ihren Wettbewerbern?

Reßing: Je nachdem welchen Markt sie betrachten, stehen wir ganz unterschiedlich da. Im Sektor der COM-Express-Module ohne Mikrocontoller ist Kontron eindeutig die Nummer eins. MSC befindet sich da auf dem dritten oder vierten Platz. Nehmen sie Motherboards dazu, zieht Advantech weit vorbei. Aber wenn es dann um Modified Displays geht, übernimmt MSC mit Avnet die Spitze. Zusätzlich haben wir im Systemgeschäft eine eigene Nische gefunden. Insgesamt machen wir in Europa einen Umsatz von 450 Millionen Euro und damit sind wir ein ganz schön dicker Fisch auf dem Markt. Wir bieten eine Bandbreite an Leistungen an, die sonst keiner hat. Im Medizinbereich zum Beispiel können wir kundenspezifisch vom System bis zum Boardlevel-Design entwickeln und kennen uns technisch mit allen Komponenten aus. Das ist eine Entwicklungs- und Know-how-Tiefe mit Alleinstellungsmerkmal. Dies macht sich dann auch im Headcount bemerkbar. Ich werde manchmal gefragt, was ich mit den ganzen Leuten mache. Aber die Antwort ist, damit bieten wir einen einzigartigen Vorteil für unsere Kunden. Spezifische Anforderungen führen zu spezifischen Problemen und wir können dazu Lösungen anbieten, da wir mit der gesamten Produktionskette unserer Produkte vertraut sind.

Wie sehen das ihre amerikanischen Gesellschafter, die eher profitgerichtet denken?

Reßing: Die Frage wird zwar gestellt, da aus betriebswirtschaftlicher Sicht hier sehr viele Leute arbeiten, aber unsere Zahlen sprechen für sich. Gerade die letzten zwölf Monate war MSC sehr erfolgreich am Markt. Avnet sieht also, was möglich ist. Außerdem war der Kauf von MSC ein strategischer Move. Wie auch andere große Hersteller sucht Avnet nach alternativen Geschäftsmodellen, denn das reine Distributionsgeschäft wird es irgendwann nicht mehr geben. Manfred Schwarztrauber, der Gründer von MSC, sagte schon vor 20 Jahren, Distribution sei ein Modell, das nicht auf Dauer überleben kann. Darum nahm MSC auch eine eigene Herstellung auf. Damit war er vielleicht 30 Jahre zu früh dran, aber Recht hat er trotzdem. Jetzt geht es darum, einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen, und bei uns ist das die lösungsorientierte Produkterstellung. Avnet denkt auch so. Durch die ganzen Start-ups im IoT-Bereich entsteht eine riesige Innovationskraft. Doch die Start-ups machen sich mehr Gedanken über den Markt als über die Herstellung. Und ihnen die Fertigungsdienstleistung anzubieten schafft Wachstumsmöglichkeiten. Dafür ist MSC ideal aufgestellt.

»Es wird in Zukunft kein zentrales, sondern ein verteiltes Computing geben«

Ihre Wettbewerber setzen verstärkt auf Software für IoT-Systeme. Ist das auch eine Perspektive für MSC?

Reßing: Die Anbindung an eine Cloud ist bei uns schon standardmäßig verbaut. Unsere COM-Produkte vertreiben wir nur noch mit Windows-Azure-Zertifikat. Früher haben wir gesagt, wir hören beim Betriebssystem auf, heute kann man ohne Cloud-Möglichkeit nichts mehr verkaufen. Der Kollege Niederhauser von Kontron hatte da die richtige Idee. Die bieten jetzt auch das Back-End mit an. Allerdings muss sich noch zeigen, wie sich diese Idee auf dem Markt entwickelt, schließlich gibt es die ersten, die schon wieder von IoT abrücken. Intel zum Beispiel hat diesen Begriff beerdigt und konzentriert sich auf die Entwicklung und den Verkauf von Chips.

Sie meinen wirklich, das IoT ist tot?

Reßing: Das IoT kurbelt eine andere Entwicklung an: Die Big Data Anlaysis. Dabei stecken wir aber noch in den Kinderschuhen. Die IoT-Geräte liefern Daten, die ausgewertet werden müssen. Nun ist es aber so, dass die Auswertung nicht im Datencenter gemacht werden kann, weil da so viele Daten zusammenkommen, dass eine Datenübertragung nicht mehr möglich ist. Es entsteht also jetzt die Bewegung, die Datencenter wieder an die Front zu bringen. Intel nennt das Fog, also Nebel statt Wolke. Es wird in Zukunft kein zentrales, sondern ein verteiltes Computing geben, das aber auch Rechenzentruminfrastrukturlösungen benötigt. Damit erleben wir eine Renaissance des klassischen Embedded Computing. Im Gegensatz zur Bewegung der letzten Jahre wird wieder mehr Leistung in den vereinzelten Geräten benötigt. Die Auslagerung in die Cloud hat die Ansprüche an die CPU-Performance gesenkt. Jetzt wird Serverperformance am Endgerät benötigt. Die Daten müssen am Sensor ausgewertet und global zur Verfügung gestellt werden. Nach meiner Einschätzung wird in zwei bis drei Jahren der klassische Embedded-Rechner Server-Architektur-Prinzipien folgen.

Was hat sich noch geändert? Was wird noch kommen?

Reßing: Die letzten Jahre waren geprägt durch den Wunsch nach anderen Bedienschnittstellen. Sie können keinen Kühlschrank mehr ohne Multitouch-Bedienung verkaufen. Auch Cloud und Connectivity als Front-End-Thema ist groß geworden. Die Smartphone-Revolution hat die
Art, wie wir mit Maschinen kommunizieren, grundlegend verändert. Ein elektronisches Gerät muss heute interaktiv sein, Rückmeldung geben und in Motorik und Haptik einem Smartphone entsprechen. Im Gegensatz zu früher treibt
jetzt die Consumer-Elektronik die industrielle Entwicklung vor sich her.
Big Data habe ich ja bereits angesprochen. Damit lassen sich ganz neue Erkenntnisse gewinnen und diese eröffnen neue Märkte, auch in Bereich wo man es nicht erwarten würde. Zum Beispiel hat ein Hersteller von Wärmepumpen eine IoT-Lösung mit Touch-Controller angefordert. Damit lassen sich Wettervorhersagen und der globale Energieverbrauch empfangen und verarbeiten. Somit arbeitet die Wärmepumpe viel effi­zienter, da sie den Bedarf an Wärme vorhersagen kann. In diesem Bereich gibt es noch kein Geschäftsmodell. Die gesparte Energie am Beispiel der Wärmepumpe lässt sich nicht in Umsatz für den Hersteller umrechnen, Effizienz bringt also keinen direkten Cashback. Hier gibt es noch viel Bewegung, auch eine Ableitung von Fähigkeiten aus den erhobenen Daten wird kommen, und damit entsteht ein großer Bedarf nach dem passenden Computing und entsprechender Datensicherheit. Das erfordert eine stärkere Standardisierung sowohl bei den Softwareschnittstellen als auch den Interfaces.


  1. Die Mär vom Standardprodukt
  2. » Spezifische Anforderungen führen zu spezifischen Problemen und wir können dazu Lösungen anbieten«

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