Die Technik
Auch wenn Myestro ähnlich funktioniert wie die von der Xbox bekannte Gestensteuerung Kinect, stecken verschiedene Ansätze dahinter. Während Microsofts System ein Infrarotsignal aussendet und die Daten mit einem hinterlegten Modell abgleicht, verfolgt Myestro faustgroße Objekte im Kamerabild der CMOS-Sensoren. Das hat den Vorteil, dass es in Echtzeit geschieht und auch bei Sonnenschein funktioniert. Grundlage der Technologie sind statistische Bildverarbeitung und Gestalttheorie. Chefentwickler Jens Schick beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem Thema und hat darin promoviert.
Damit eine zuverlässige Bedienung möglich wird, muss die Kamera des gewünschten Geräts allerdings bestimmte Bildraten liefern. 30 Bilder pro Sekunde mit VGA-Auflösung (640x480 Pixel) sind das Minimum. Bei einigen Laptops erfordere dies noch eine externe Webcam. Bei den meisten Mittelklasse-Smartphones und -tablets reiche die Qualität der Frontkameras aber aus, erklärt Dr. Wenger. Neben dem Qualcomm Snapdragon 800, der im Kindle Fire seinen Dienst verrichtet, würde die Software beispielsweise auch mit dem Snapdragon 600- oder Intel Atom-Prozessoren laufen. Dank Pipeline-Software-Architektur und parallelisierbarer Algorithmen werden auch zukünftige Multicore-Architekturen unterstützt.
Fahrplan für die App
Ab März 2014 werden Schritt für Schritt Apps für iPhone, iPad und verschiedene Android-Handys veröffentlicht. Zudem wird es Desktop-Programme geben, die z.B. MacBooks mit der Gestensteuerung ausstatten. Grundsätzlich ist die Software auf Mac OSX, Linux, Windows, Android und iOS lauffähig. Auf dem Mobile World Congress möchte man mit den Branchengrößen ins Gespräch kommen. Der Geschäftsführer sieht dabei eine gute Verhandlungsposition: »Wenn die Software direkt mit den Handys ausgeliefert würde, könnte sich die entsprechende Firma ein gewisses Alleinstellungsmerkmal verschaffen«.
Die Firmenstrategie
Der Einstieg ins Mobilgeschäft bedeutet aber nicht den Ausstieg aus dem Digital Signage-Geschäft. Die Nachfrage nach der Myestro-Hardware zur Steuerung öffentlicher (Werbe-) Bildschirme sei zufriedenstellend. Sie übersteige sogar deutlich die aktuellen Vetriebskapazitäten, verriet uns Dr. Wenger. Oberstes Ziel sei es daher, das Vertriebsnetz zu vergrößern und gleichzeitig die Softwarequalität sicherzustellen. Darüber hinaus sei man in Kontakt mit Investoren. Zurzeit aber ist das neunköpfige Startup aus Ulm noch selbständig und eigenfinanziert.
Fazit: Besser als Touch?
Seien wir mal ehrlich: Bei der privaten Smartphone-Nutzung entsteht wohl eher selten der Wunsch, das Gerät auch berührungslos bedienen zu können. Texte schreiben, im Internet surfen oder Videos schauen – die häufigsten Nutzungsformen erfordern unsere volle Aufmerksamkeit und sind problemlos per Touch zu bedienen. Vielleicht ein Grund, warum die »Air Gestures« in Samsungs Galaxy S4 eher als Spielerei denn als Innovation wahrgenommen wurden.
Wirklich spannend wird Myestros Technologie allerdings durch die Endgeräte-Unabhängigkeit. Denn dort, wo man Computer nebenbei steuern möchte, ohne den Fokus auf sie zu richten, könnte die Gestensteuerung ihre Stärken ausspielen. Beim Autofahren, im OP-Saal oder auch am Fernsehgerät könnte Myestro eine hilfreiche Alternative zur kognitiv aufwändigen Touchscreen-Bedienung sein. Ob das System den Durchbruch schafft, werden am Ende die Nutzer entscheiden. Vielleicht behält CEO David Wenger am Ende recht und die Software setzt sich durch, weil die passenden Spiele und Anwendungen einfach Spaß machen.