Welche Vorteile hat TSN letztlich gegenüber den klassischen Industrial-Ethernet-Systemen?
Dr. Oliver Kleineberg: TSN hat gegenüber den klassischen Industrial-Ethernet-Systemen sowohl technische als auch Kostenvorteile. Es skaliert automatisch mit den verfügbaren Ethernet-Bandbreiten der IEEE 802.3 mit und ist nicht auf 100 MBit/s beschränkt. Außerdem spezifiziert es Mechanismen, die die etablierten Industrial-Ethernet-Systeme nicht beherrschen, etwa Ingress Protection (IEEE P802.1Qci).
Generell spezifiziert TSN nicht eine Technologie, sondern einen Technologiebaukasten, z.B. unterschiedliche Traffic Scheduler/Shaper. Je nach den Anforderungen lässt sich ein TSN-Gerät bedarfsgerecht entwerfen – eine TSN-fähige Überwachungskamera hat andere Anforderungen als ein synchronisierter Antrieb mit TSN –, aber beide nutzen die gleiche Basistechnologie und sind im gleichen Netz einsetzbar, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Die meisten anderen Systeme haben einen „all-or-nothing“-Ansatz, der die Integration unterschiedlicher Komponenten wesentlich erschwert.
TSN und OPC UA bieten somit eine Grundlage für die Automatisierungsnetze der Zukunft, in denen Netzwerkverkehr mit stark unterschiedlichen Anforderungen über eine gemeinsame Netzinfrastruktur übertragen wird. Die IEEE-802.3-Standards verschaffen den Netzen die nötige Bandbreite. TSN nach IEEE 802.1 sorgt für die korrekte Zuteilung dieser Bandbreite auf die Applikationen und für die Einhaltung kritischer Zeitobergrenzen. OPC UA ermöglicht, dass alle Teilnehmer im Netz auf Basis gemeinsamer semantischer Modelle und Kommunikationsprotokolle übergangsfrei miteinander kommunizieren können.
Sebastian Sachse: Bei der Vernetzung von Maschinen setzen derzeit verfügbare Lösungen mit deterministischem Zeitverhalten auf proprietäre Technologien auf. Daher schränken sie die Endkunden bei der Auswahl der Hardware auf eine kleine Anzahl von Lieferanten ein. Durch seine Offenheit und Konformität zu Standards setzt OPC UA TSN genau dort an. Schon heute haben alle großen Hersteller von Automatisierungstechnik OPC UA integriert. Weil TSN Bestandteil der allgemeinen Ethernet-Spezifikationen der IEEE ist, wird TSN auch bald standardmäßig in Halbleiterbaugruppen implementiert sein. Wenn die Komponenten aller Hersteller OPC UA TSN sprechen, müssen sich die Betreiber von Maschinen und Anlagen in Zukunft keine Gedanken mehr darüber machen, wie die einzelnen Komponenten ihrer Produktion miteinander kommunizieren.
Thomas Brandl: TSN erlaubt die Verwendung von Standard-Netzwerk-Komponenten wie etwa Switches in Verbindung mit Echtzeitkommunikation. Dadurch hat man mehr Freiheitsgrade bei der Netzwerktopologie, und die Einbindung von Feldgeräten in Firmennetzwerke oder Cloud-Lösungen wird einfacher.
Heinrich Munz: Dass sich alles innerhalb eines einzigen geswitchten Flat-Ethernet-Netzwerks abspielt. Theoretisch und technisch kann jeder auf jeden zugreifen, ohne Hierarchien und Technologiebrüche. Beschränkungen werden lediglich durch Zugriffsrechte, Rollen usw. durch Software-Konfiguration vergeben. Software-defined Networks werden Realität.
Georg Stöger: Es ist ein offenes und herstellerunabhängiges System und das einzige, das Standard-IEEE-Ethernet mit Garantien in Bezug auf Echtzeitverhalten erweitert. TSN ist also nicht „technisch besser“ für industrielle Kommunikation geeignet als die klassischen Industrial-Ethernet-Systeme, die ja spezifisch für die dort herrschenden Anforderungen hin entwickelt wurden, aber im Gegensatz zu ihnen ist es offen und damit zu anderen Ethernet-Komponenten interoperabel. Der wesentliche Vorteil ist sicherlich die Offenheit in Richtung Internet und Cloud-Anbindung, die bei TSN mit ganz gewöhnlichen Ethernet- und IP-basierten Komponenten realisiert werden kann, während es für die meisten Industrial-Ethernet-Systeme spezielle Gateways braucht.
Inwieweit spielen Kosten eine Rolle?
Dr. Oliver Kleineberg: Ein Kostenvorteil von TSN ist, dass die breite Unterstützung aller großen Chiphersteller Mehrkosten für die Hardware minimiert. Zudem ist TSN ein IEEE-802-Standardmechanismus. Es ist daher zu erwarten, dass TSN-Funktionen langfristig zu einer Standardfunktion in Ethernet-Chips werden, vergleichbar beispielsweise mit den VLAN-Standards.
Sebastian Sachse: Dass TSN ein offener Standard ist, bringt auch Kostenvorteile mit sich, weil die Auswahl der Lieferanten nicht mehr durch proprietäre Technologien eingeschränkt wird. Zudem wird die notwendige Halbleitertechnik für TSN sehr kostengünstig verfügbar sein, da auch die Automobilbranche auf den Standard setzt.
Thomas Brandl: Die Kosten spielen eine sehr große Rolle. Heutzutage entsteht durch die Vielfalt der Kommunikationslösungen erheblicher Aufwand. Die Anlagenbetreiber haben hohe Integrationskosten für den Datenaustausch zwischen Maschinen unterschiedlicher Hersteller. Die Maschinenhersteller müssen viel investieren, um unterschiedliche Kommunikationsstandards zu unterstützen. Eine Vereinheitlichung über OPC UA und TSN reduziert diesen Aufwand erheblich.
Heinrich Munz: Eben – Doppelverdrahtung, isolierte Netzwerke, Gateways, Steuerungen als Router usw. kosten unnötig Geld.