Interview mit Prof. Jürgen Jasperneite

»Mittelständler brauchen Industrie-4.0-Kompetenz«

22. November 2017, 7:51 Uhr | Frank Riemenschneider
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

OPC/UA und TSN ist eine neue Welt

WEKA Fachmedien
Professor Jürgen Jasperneite mit DESIGN&ELEKTRONIK-Chefredakteur Frank Riemenschneider.
© Componeers GmbH

Wenn Sie indirekt empfehlen, sich nicht von den professionellen Cloud-Anbietern, den Innovatoren, abzukoppeln, warum kann man ihnen vertrauen? 

Ob die Vorteile die potentiellen Nachteile aufwiegen, müssen Sie selbst für sich entscheiden. Amazon Web Services betreibt ja beispielsweise Rechenzentren in Deutschland und kann Ihnen transparent nachweisen, dass Ihre Daten auch nur dort gespeichert werden.

Da wird Geld investiert und es gibt sogar Bereiche, in die Amazon-Mitarbeiter gar nicht reinkommen. Natürlich können Sie immer noch misstrauisch sein, die Entscheidung kann Ihnen wie gesagt niemand abnehmen. Am Ende können Sie natürlich auch Ihre lokale Cloud aufbauen, was aber realistisch erst ab einer gewissen Größe Sinn ergibt.  

Der Verbindungsspezialist TE Connectivity hat eine »Smart Prototype Factory Platform« aufgesetzt und kritisiert, dass die bestehenden Ansätze wie etwa die Kompetenzzentren zu Industrie 4.0 das Ziel haben, Forschung zu validieren, der Bezug zu realen Aufgabenstellung in realen Produktionsumgebungen aber unzureichend ist. Können Sie diese Kritik nachvollziehen und wo sehen Sie die Unterschiede dieser Initiative beispielsweise auch zu Ihrer SmartFactoryOWL in Lemgo? 

Es gibt ja ein Schubladendenken dahingehend, dass bei der Beteiligung von Forschungseinrichtungen alles akademisch sein muss. Man ist sicher gut beraten, sich mal die Arbeit der Kompetenzzentren vor Ort anzusehen und mit denen zu sprechen, welche deren Leistung in Anspruch genommen haben. Wir sind da alles andere als akademisch unterwegs und machen auf die Unternehmen zugeschnittene Transferprojekte, das ist keine Forschung, das ist Engineering. Jetzt schauen wir mal, ob die »Smart Prototype Factory Platform« nachhaltiger wird. 

TSN kann eine Vielzahl der heutigen Aufgaben von Feldbussen abdecken und Insellösungen ersetzen. In welchen Anwendungen sehen Sie trotzdem weiterhin Bedarf für Feldbusse und wie sehen Sie die Idee, die Protokolle etablierter Ethernet-Feldbusse auf einen untergelagerten TSN-Layer zu spannen, statt auf OPC/UA zu setzen? 

TSN und OPC/UA direkt ist sicher der etwas radikalere Ansatz, der andere Ansatz wie zum Beispiel CANOpen auf PowerLink ist der evolutionäre Ansatz. Fakt ist, in beiden Fällen muss ich was tun, für den Anwender wird der Einsatz egal sein. Wenn er heute schon ProfiNet oder ProfiBus einsetzt, ist er da gegebenenfalls besser aufgehoben, weil er aus Anwendungssicht dort alles wiederfindet – er bekommt die gleichen Dienste. OPC/UA und TSN ist eine neue Welt, die Frage ist, wie weit sich diese neue Welt verbreitet…  

Die neue Welt hat ja zum Beispiel den Vorteil, dass ich nicht mehr beim Siemens gefangen bin…. 

Das ist in Ihrer negativen Auslegung sicher richtig. Positiv könnte man sagen, ich kriege gegebenenfalls Added Value, wenn ich in diese Gemeinde reingehe. Wer ist eigentlich der Owner von OPC/UA plus TSN? Die OPC-Foundation ist nicht Owner von TSN und IEEE nicht von OPC/UA. Ab einer gewissen Komplexität braucht es jemanden, der diese Technologie zusammenhält wie die PNO für Profinet. Ob die OPC-Foundation als Schnittstelle zum Anwender diese Rolle spielt dauerhaft dafür zu sorgen, dass bei dem Lifecycle von TSN unsere Abbildung sichergestellt ist, muss sich zeigen. Einer muss ja drauf achten, dass das funktioniert, wenn jemand OPC/UA und TSN auf seine Produkte draufschreibt. Die Frage ist, wen stört es eigentlich, dass Siemens der dominante Player im ProfiBus-Umfeld ist? Das mag Beckhoff oder ABB stören, aber keinen Motorenhersteller. Die große Masse, welche sich in diese Welt integrieren will, sieht das Ökosystem aus meiner Sicht positiv. 

Ein »Industrie-4.0-Sensor« muss applikationsspezifische Software beinhalten, um vorverarbeitete, beziehungsweise nur relevante Daten an Datenbanken oder Cloud-Systeme weitergeben zu können, um damit neue Dienste oder Funktionen im Gesamtsystem der Produktion und Industrie zu ermöglichen. Wem gehören eigentlich technisch und rechtlich diese erfassten Daten? 

Rechtlich kann ich Ihnen das nicht beantworten. Nehmen Sie das Auto: Wer generiert eigentlich die Daten? Sie? Der Autohersteller? Meine persönliche Meinung ist, der Owner ist derjenige, der die Daten erzeugt. Er entscheidet auch, welche Daten er an wen weitergibt. Dann kann man sehr selektiv Daten freigeben, andere Daten gebe ich nicht frei, mache irgendetwas damit und das Ergebnis zum Teil meines Geschäftsmodells. 

Entschuldigen Sie meine Direktheit, aber das höre ich ja ständig, ohne dass bis zum Ende durchdacht wird, wie schwierig die Umsetzung Ihrer Forderung in der Praxis ist! 

Da haben Sie Recht, nehmen wir einen Maschinenbauer, der einen Drucksensor gekauft hat. Jetzt sagt der Sensorhersteller, dass die Druck-Messwerte, die in Ihrer Anlage gemessen werden, seine sind. Das ist schwierig, oder? Da müsste der Maschinenbauer mit dem Sensorhersteller einen Vertrag machen, wer in welcher Weise die Daten des Drucksensors nutzt. Das geht dann in der Kaskade hoch. Ehrlich gesagt, es ist schwierig vorherzusagen, wie sich das entwickelt, das hängt wohl von der Mechanik des Marktes ab. 

Nehmen wir an, der Maschinenbauer sagt, ich kaufe dir für die nächsten Generationen eine Million Sensoren ab, aber mit den Daten hast du nichts zu tun… 

...dann muss der Sensorhersteller überlegen, mache ich den Deal oder nicht, unter diesen Rahmenbedingungen. Dollar versus Daten. Das meine ich mit Marktmechanik. Gegebenenfalls ist der Kunde bereit Daten zu liefern, wenn der Sensor irgendwie einzigartig ist wie beispielsweise dann, wenn er eine Vorverarbeitung oder Signalanalyse der Daten macht und keine Druck-Rohdaten übertragen werden.

Wieso müssen wir eigentlich heute über so etwas philosophieren? Wäre es nicht längst an der Zeit, dass sich Sensorhersteller darüber mal Gedanken machen?

Ja, sicher könnten die längst die Diskussion starten und sich Gedanken über Lizenzverträge hinsichtlich der Daten machen. Ich glaube, die kommen derzeit immer noch nicht auf die Idee, bei ihren Kunden sowas anzubieten (lacht).  

Ein Interview mit Security-Expertin Frau Professor Eckert vom Fraunhofer ASIC zeigte ein, wie ich finde, erschreckendes Optimierungspotential beim Thema Security auf. [1] Noch schlimmer: Die Naivität »es wird schon gutgehen« führt heute zu absurdesten Szenarien. TPM-Module kosten zwischen 50 Cent und 2 Dollar und heute sagen Produzenten von Embedded-PCs, ich spare mir diese 50 Cent ein, weil der Endkunde nicht bereit ist, diesen Aufpreis zu zahlen. Und diejenigen, die dann doch noch 50 Cent ausgeben, nutzen die Funktionalität manchmal nur teilweise, weil sie dann an der Software, zusätzlichem Aufwand und Dokumentation sparen wollen. Können Sie ein klares Statement zum Thema Security abgeben und eine Empfehlung abgeben, wie ein Mittelständler vorgehen soll? 

Als Fraunhofer haben wir ja in Deutschland sechs Cybersicherheitslabore eingerichtet mit dem Ziel, dem Mittelständler eine eigene Handlungskompetenz zu geben, worauf sie eigentlich achten müssen. Sie haben Recht, es gibt keine Blaupausen, aber Best Practices. Dafür stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung 6 Millionen Euro pro Jahr bereit, um das Thema in Richtung Mittelstand zu transportieren – er wiegt sich vielmehr häufig in falscher Sicherheit und die Schäden sind ja heute schon immens. 

Sensibilisierung ist gut und schön, aber was erhoffen Sie sich konkret davon? 

Die Hoffnung ist natürlich, dass die Unternehmen strukturierter an das Thema Sicherheit herangehen. Also zum Beispiel in die Organisation reingucken, in die Technik reingucken, ein Assessment machen. Auch natürlich den Einsatz von Produkten zu hinterfragen. Wenn Sie einen Prozessor mit einer Krypto-Engine haben, kann der Maschinenbauer damit nichts anfangen. Eine Public-Key-Infrastruktur - PKI - auf die Automatisierung zu übertragen, hat der Automatisierungstechniker doch gar nicht gelernt. Erst kam Safety, jetzt muss er sich auch noch mit Security beschäftigen. Das ist ja alles nicht trivial. 

Wo Sie es sagen, die Halbleiterhersteller preisen ständig ihre Krypto-Engines als eierlegende Wollmichsau an, es ist grauenvoll. Und meine Kolleginnen und Kollegen schreiben das dann auch noch…

Es mag ja sein, dass am Ende der Analyse herauskommt, dass die irgendwo Sinn ergibt. Es werden heute viele Teillösungen propagiert, aber daraus wird ja noch keine Systemlösung. Das muss jedem Mittelständler klar sein.  

Ihr Konsortium hat dieses Jahr das erste Mal auf der Smart Factory Expo in Tokio ausgestellt. Wie ist Ihr Feedback auch im Vergleich zum Beispiel zur SPS-IPC-Drives in Nürnberg und/oder der Hannover-Messe? 

Sehr gut. Wir waren ja in Tokio im Rahmen eines internationalen Konsortiums mit unserem IIC-Testbed »Smart Factory Web«. Das heißt, wie kann man geografisch verteilte Standorte zuverlässig über das Internet vernetzen, sodass ein Unternehmen, das selbst gar nicht produziert oder nur noch Teile, anderen Partnern in dessen Netzwerken Aufgaben automatisiert vertragssicher zuspielen. Das Testbed machen wir zusammen mit dem Korea Electronics Technology Institute [2] in Südkorea. Die Musik spielt nicht nur in Deutschland. 

Letzte Frage: Ist nicht viel zu wenig Industrie-4.0-Beratungskompetenz und Expertise im Markt, um die alle Mittelständler zu beraten? 

Das ist so. Es ist auch nicht ganz einfach, mit einem Maschinenbauer, der ganz anders sozialisiert wurde als ein Informatiker, eine gemeinsame Gesprächsebene zu finden. Das ist ein längerer Lernprozess. Auch bei unseren Kompetenzzentren Industrie 4.0. Wir müssen lernen, wie Mittelstandstransfer eigentlich funktioniert, da gibt es kein Patentrezept. 

Herr Professor Jasperneite, vielen Dank für das Gespräch! 

Das Interview führte Frank Riemenschneider.

Referenzen 

[1] Interview mit Security-Päpstin Frau Prof. Claudia Eckert

[2] Korea Electronics Technology Institute

Ingenieur aus Leidenschaft 

Auch wenn er selbst die Formulierung »Industrie-4.0-Guru« gar nicht mag, ist Prof. Jürgen Jasperneite, eine der schillerndsten Figuren in der Industrie-4.0-Szene. Er ist Professor für Kommunikationsnetze am Institut für industrielle Informationstechnik (inIT) der Hochschule OWL in Lemgo, wo er auf dem Gebiet der intelligenten Automation lehrt und forscht. Inmitten der Technologieregion Ostwestfalen-Lippe (OWL) leitet er das Fraunhofer-Anwendungszentrum Industrial Automation (IOSB-INA) seit dessen Gründung im Jahr 2009. Auf der Grundlage eines Public-Private-Partnerships, ist Jasperneite einer der beiden Initiatoren des Centrum Industrial IT, dem weltweit ersten Science-to-Business-Center im Bereich der industriellen Automation. Weiterhin initiierte und konzipierte er auf dem Campus in Lemgo mit der SmartFactoryOWL den Bau einer neuartigen Forschungs- und Demonstrationsfabrik für Industrie-4.0-Technologien.


  1. »Mittelständler brauchen Industrie-4.0-Kompetenz«
  2. OPC/UA und TSN ist eine neue Welt

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!