Ist die Gbit-Strategie das Aus für DSL?

Die Rolle von VDSL, SHDSL und G.hn in der Industrie 4.0

3. Juni 2024, 15:30 Uhr | Rüdiger Peter
Bild 1: Modernisieren bedeutet heutzutage immer auch digitalisieren. Grundlage dafür ist häufig eine schnelle Ethernet-Kommunikation. Muss es dabei immer eine Glasfaserleitung sein?
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Der Markt für DSL-Produkte verändert sich derzeit erheblich, zumal Glasfaser- die weitverbreiteten Kupferleitungen ersetzen werden. Betreiber privater/betriebseigener Netze sollten allerdings, um den Anschluss zu halten, schon jetzt bewährte Technologien wie VDSL, SHDSL und G.hn in den Blick nehmen.

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Nach Plänen der Bundesregierung sollen bis 2030 alle deutschen Haushalte einen Glasfaseranschluss bekommen. Dies ist ein Ziel der sogenannten Gigabitstrategie. Die vorhandenen Kupferleitungen sind dann nicht mehr notwendig und sollen perspektivisch abgeschaltet werden. Auf seiner Jahrestagung Ende 2023 hatte der Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO) bereits eine DSL-Abschaltung im öffentlichen Netz bis 2032 diskutiert.

Scheint der Parallelbetrieb zweier öffentlicher Netze unwirtschaftlich, können kupferbasierte Lösungen – etwa Ethernet-Extender – weiterhin neben Glasfaser dafür sorgen, dass der digitale Wandel in den privaten/betriebseigenen Netzen nicht zur Kostenfalle wird. (Bild 1)

Kupferbasierte öffentliche Netze geraten an ihre Grenzen

Für die Anbieter im öffentlichen Netz erweist sich DSL noch als Hauptgeschäft. 2023 wurden in Deutschland rund 25 Millionen DSL-Kunden gezählt. Diese Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren weitgehend gleichgeblieben. Glasfaser nutzen aktuell erheblich weniger Haushalte. Laut Marktanalyse 2023 des BREKO betrug die Glasfaserabdeckung Mitte 2023 etwa 35,6 Prozent. Schätzungen der Telekom zufolge wird es erst in fünf bis sieben Jahren mehr Glasfaser- als DSL-Kunden geben. Im europäischen Vergleich holt Deutschland beim Glasfaserausbau zwar deutlich auf, liegt aber dennoch weit hinter den Nachbarländern zurück. Das resultiert vor allem daraus, dass lange am kupferbasierten Breitbandausbau festgehalten worden ist, anfänglich mit ADSL (Asymmetric Digital Subscriber Line) und momentan mit VDSL (Very High Speed Digital Subscriber Line).

Der Ruf nach einer schnellen Gigabit-Übertragung im öffentlichen Netz wird jedoch immer lauter, denn das veränderte Verbraucherverhalten lässt das kupferbasierte Netz teilweise an seine Grenzen stoßen. So teilen sich heute datenhungrige Anwendungen (Homeoffice) und Musik-/Film-/Streaming-Dienste die knappe Bandbreite im DSL-Breitbandnetz. Dieser Trend wird sich weiter verstärken. Unter anderem ist zu erwarten, dass mit dem Gesetz zur Abschaffung des Nebenkostenprivilegs von Kabelanschlüssen in Mietwohnungen zusätzliche Verbraucher ihr TV-Nutzungsverhalten in Richtung internetbasierte Lösungen ändern werden. Um für die nächsten Jahrzehnte zukunftssicher zu investieren, setzen die Anbieter im öffentlichen Netz auf Glasfaser und bauen mit viel Aufwand entsprechende Netze auf.

Digitalisierungsbedingt mehr Datenaufkommen in privaten/betriebseigenen Netzen

Ein Vergleich der privaten/betriebseigenen mit den öffentlichen Netzen zeigt, dass es auch im Unternehmensumfeld einen Wandel in der Kommunikationstechnik gibt. In Teilbereichen wie der Videoüberwachung erfolgt bereits eine Gigabit-Übertragung. In den meisten Fällen geht es im ersten Schritt um die generelle Vernetzung und Digitalisierung der geschäftlichen Prozesse oder die Sicherstellung der kritischen Infrastruktur. Der Anlass zu dieser digitalen Transition resultiert oftmals aus den Anforderungen aus Gesetzen oder Richtlinien, etwa dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) oder der internationalen Normenreihe ISO/IEC 27001.

An dieser Stelle ließen sich neben der KRITIS- und der IT-Sicherheitsrichtlinie weitere branchenspezifische Vorschriften aufführen. Ihnen allen ist gemein, für die Sicherheit und Stabilität der jeweiligen geschäftlichen Prozesse und Infrastrukturen zu sorgen. Als Grundlage dafür dienen die Erfassung und Vernetzung oft dezentraler Daten, die via Ethernet an überlagerte Systeme weitergeleitet werden.

Glasfaserleitungen für Gigabit-Anwendungen

Zu Beginn der Ethernet-Kommunikation bedeutete der Begriff IT-Vernetzung das Verbinden lokaler Desktop-Computer. Die seinerzeit maximale Datenrate von 3 Mbit/s reicht für aktuelle Anwendungen schon lange nicht mehr aus. Trotzdem werden die bestehenden kupferbasierten Ethernet-Leitungen heute noch verwendet. Der zugrunde liegende IEEE-Standard 802.3 wurde in den letzten Jahrzehnten durch technologische Neuerungen stetig in puncto höhere Datenraten angepasst. Daraus gehen die bekannten Standards 10BASE-T, 100BASE-T und 1000BASE-T für die Gigabit-Übertragung hervor. Spätestens mit 1000BASE-T wurde klar, dass die klassischen Twisted-Pair-Leitungen CAT5, CAT6 und CAT7 bei derart hohen Datenraten für eine maximale Reichweite von 100 m nicht mehr genügen. Der Standard 1000BASE-T empfiehlt zur Erfüllung dieser Distanz mindestens eine CAT5e-Leitung.

Um Gigabit-Anwendungen zu realisieren, lassen sich alternativ Glasfaserleitungen einsetzen, die eine Entfernung von mehreren Kilometern und Datenraten bis 100 Gbit/s ermöglichen. Dazu müssen die vorhandenen Ethernet-Leitungen meist gegen kostspielige Lichtwellenleiter (LWL) und entsprechende Geräte ausgetauscht werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass die LWL-Medienkonverter zum Senden und Empfangen die gleiche Wellenlänge und den gleichen Lichtmodus unterstützen, die für die genutzte Glasfaserleitung notwendig sind, beispielsweise 1300 nm für eine Singlemode- oder Multimode-Faser. Aus diesem Bedarf haben sich in den letzten Jahren kupferbasierte Alternativen entwickelt, die als qualifizierte Technologiestandards in den jeweiligen Geräten verwendet werden.

VDSL und SHDSL zur Überbrückung mittlerer bis großer Distanzen

Bild 2: SHDSL-Extender ermöglichen die Vernetzung weit entfernter Stationen durch Nutzung beliebiger Zweidraht-Leitungen, beispielsweise alter Telefonleitungen, über eine Distanz bis zu 20 km.
Bild 2: SHDSL-Extender ermöglichen die Vernetzung weit entfernter Stationen durch Nutzung beliebiger Zweidraht-Leitungen, beispielsweise alter Telefonleitungen, über eine Distanz bis zu 20 km.
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Am bekanntesten ist der Kommunikationsstandard VDSL oder VDSL2, der seit vielen Jahren in DSL-Routern der öffentlichen Netze zur Internetanbindung zum Einsatz kommt. Als Weiterentwicklung der DSL-Familie ermöglicht VDSL2 je nach Profil Datenraten zwischen 50 Mbit/s und 350 Mbit/s. Die maximale Reichweite beträgt rund 5 km, wobei die Geschwindigkeit nach 1 bis 1,5 km abnimmt und auf SHDSL-Niveau sinkt. VDSL wird zudem bei industriellen Punkt-zu-Punkt-Anwendungen mit mittleren Reichweiten genutzt – in diesem Fall allerdings nicht als Router, sondern als Extender zur Ethernet-Übertragung in betriebseigenen Twisted-Pair-Leitungen.

Als weniger bekannt erweist sich SHDSL, das sich besonders im kommunalen Umfeld zur Vernetzung weitläufiger abgesetzter Außenstationen etabliert hat. Single-Pair Highspeed Digital Subscriber Line gehört zu den symmetrischen DSL-Verfahren, d.h. die Bandbreite für den Up- und Downstream ist gleich groß. Mit SHDSL lassen sich Reichweiten bis 20 km überbrücken und Datenraten bis 15 Mbit/s in einfachen Zweidraht-Leitungen erzielen. Der Betrieb im Vierdraht-Modus verdoppelt die Übertragungsgeschwindigkeit auf bis zu 30 Mbit/s. Aufgrund der im Vergleich zu VDSL und G.hn geringeren Datenraten und der robusten Puls-Amplituden-Modulation eignet sich SHDSL bestens für Anwendungen mit einer weitreichenden Vernetzung. Mit SHDSL lassen sich ebenfalls bestehende/beliebige Zweitdraht-Leitungen – etwa alte Telefonleitungen – verwenden. Dabei ist die Vernetzung von bis zu 50 SHDSL-Geräten im Linien- oder redundanten Ringbetrieb möglich. Wegen der daraus eventuell resultierenden großen Systemausdehnung von beispielsweise 50 x 20 km sollte auf eine umfangreiche Diagnose via IP – etwa per Simple Network Management Protocol (SNMP) – geachtet werden. Auf diese Weise werden Anwender vor manipulativen Zugriffen gewarnt oder bei Verbindungsunterbrechungen informiert (Bild 2).

G.hn mit zehnfach höherer Reichweite als Standard-Ethernet

Bild 3: G.hn-Gigabit-Extender verwenden bestehende Twisted-Pair-Leitungen oder Koaxialkabel für breitbandige Gigabit-Anwendungen bis zu 1 km.
Bild 3: G.hn-Gigabit-Extender verwenden bestehende Twisted-Pair-Leitungen oder Koaxialkabel für breitbandige Gigabit-Anwendungen bis zu 1 km.
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Bei G.hn handelt es sich um eine im Vergleich zu VDSL und SHDSL noch junge standardisierte Technologiealternative. Die Abkürzung G.hn steht für Gigabit Home Networks, was deutlich macht, dass der Standard ursprünglich für die Heimvernetzung konzipiert wurde. Gegenüber VDSL und SHDSL zeichnet sich G.hn durch eine sehr hohe Datenrate bis 1 Gbit/s sowie hohe Übertragungsqualität und Reichweite bei einer maximalen Leitungslänge von 1 km aus. Dieser Wert übertrifft die Reichweite von Standard-Ethernet um den Faktor 10. Anwendern steht somit eine Technologie zur Verfügung, die künftig mehr Bedeutung in Industrie-, Infrastruktur- und IoT-Anwendungen erlangen wird (Bild 3).

Der besondere Vorteil von G.hn liegt in der Nutzung der vorhandenen Verkabelung. Folglich lassen sich verschiedene Medien wie Twisted Pair oder Koaxialkabel einsetzen. Darüber hinaus kann die Leistung direkt über das Datenkabel weitergeleitet werden - ähnlich wie bei Power-over-Ethernet -, sodass kein zusätzliches Netzteil zu installieren ist (Bild 4).

Besondere Eignung für Applikationen mit hohem Datenaufkommen

Bild 4: Gigabit-Extender setzen Power-over-Link zur Versorgung entfernter Extender und PoE-Endteilnehmer ein, zusätzliche Netzteile entfallen.
Bild 4: Gigabit-Extender setzen Power-over-Link zur Versorgung entfernter Extender und PoE-Endteilnehmer ein, zusätzliche Netzteile entfallen.
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Sind VDSL und SHDSL Punkt-zu-Punkt-Technologien, mit denen sich selbst große Systeme mit bis zu 50 Teilnehmern vernetzen lassen, verfolgt G.hn ein anderes Verdrahtungskonzept. Alle G.hn-Extender des Netzwerks werden einfach parallel miteinander verbunden und stellen einen Teil eines großen Kupfersegments dar. Die Technologie unterstützt hier bis zu 15 Geräte in einem Segment, wobei Anwender keine Einstellungen vornehmen müssen: Die Extender werden lediglich per Plug-and-Play montiert. Es ist jedoch zu beachten, dass sich die G.hn-Geräte die maximal mögliche Datenrate des G.hn-Kupfersegments teilen. Daher sollte in Gigabit-Netzwerken auf die größtmögliche Ausbaustufe von 15 Geräten verzichtet werden, weil die tatsächliche Nutzdatenrate der einzelnen Geräte ansonsten auf das Niveau von VDSL und SHDSL abfallen könnte. Durch das parallele Verdrahtungskonzept lassen sich fast sämtliche Anwendungstopologien umsetzen - seien es Punkt-zu-Punkt-, Linien-, Stern- oder Baumtopologien. Sogar der Aufbau redundanter Ringstrukturen ist möglich.

Aufgrund der Bandbreite und Übertragungsdistanz eignet sich die G.hn-Technologie für Applikationen mit hohem Datenaufkommen, etwa für Videoüberwachungsanlagen. Werden die Anlagen modernisiert, kann die bestehende Verkabelung beibehalten werden, während die analoge Kamera nur gegen eine IP-Kamera auszutauschen ist. Anwender müssen also nicht auf eine hohe Auflösung der Videobilder verzichten, die im Vergleich kostspielige Verwendung von Glasfaser ist hingegen nicht erforderlich.

Strategie zur langfristigen Verfügbarkeit der Chips

Bild 5: Welche Technologie die richtige ist, entscheidet die Anwendung. Als wesentlich erweisen sich dabei die Anforderungen in Bezug auf Datenrate, Reichweite und eine eventuell geforderte Überwachung/Alarmierung via IP.
Bild 5: Welche Technologie die richtige ist, entscheidet die Anwendung. Als wesentlich erweisen sich dabei die Anforderungen in Bezug auf Datenrate, Reichweite und eine eventuell geforderte Überwachung/Alarmierung via IP.
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Durch die Nutzung vorhandener Kupferleitungen sowie ihre Robustheit und einfache Verwendung haben sich besonders SHDSL und VDSL als Technologiestandards etabliert. Leider unterliegt die Chip-Produktion den wirtschaftlichen Überlegungen der entsprechenden Hersteller, die häufig räumlich weit entfernt vom Einsatzmarkt fertigen und somit kein direktes Feedback bekommen. So wollten sie die DSL-Chips bereits 2022 überraschend kurzfristig abkündigen. Aufgrund des schnellen Handelns führender DSL-Geräteproduzenten ließ sich dies abwenden. Sie gaben den Chip-Herstellern die fehlende Rückmeldung aus den unterschiedlichen Einsatzmärkten und konnten ihnen deutlich machen, wie wichtig DSL für die privaten/betriebseigenen Netze ist, um die Digitalisierung dort weiterhin schnell umzusetzen. Auf dieser Grundlage wurde eine Strategie zur weiteren langfristigen Verfügbarkeit der Bauteile abgestimmt. Seitdem haben sich einige DSL-Geräteanbieter aus dem Markt zurückgezogen, wohingegen andere Unternehmen auf der vereinbarten Strategie aufbauen und ihr Extender-Portfolio sogar erweitern. Für die Anwender ist dies ein gutes Zeichen, denn in Zukunft wird ebenfalls eine kostengünstige kupferbasierte Alternative zur Glasfaserübertragung angeboten.

Rüdiger Peter ist Produktmanager im Bereich Communication Interfaces bei der Phoenix Contact Electronics GmbH in Bad Pyrmont.
Rüdiger Peter ist Produktmanager im Bereich Communication Interfaces bei der Phoenix Contact Electronics GmbH in Bad Pyrmont.
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Der digitale Wandel schreitet stetig voran. Zum schnellen Informationsaustausch wird Gigabit-Ethernet genutzt. Aufgrund der hohen Datenraten und Reichweite erweist sich Glasfaser hier als das leistungsfähigste, aber auch kostspieligste Kommunikationsmedium. Bei Neuinstallationen und Zukunftsinvestitionen wird Glasfaser deshalb die erste Wahl sein. Um bei erforderlichen Modernisierungsarbeiten aus Kostengründen nicht den Anschluss zu verlieren, lohnt sich der Blick auf bewährte Technologien wie VDSL, SHDSL oder G.hn. Berücksichtigen sollten die Anwender dabei die tatsächlichen Anforderungen ihrer Applikation im Hinblick auf die maximale Datenrate und Reichweite sowie die Notwendigkeit der Überwachung und Alarmierung via IP. Vom im Vergleich zu VDSL und SHDSL noch jungen G.hn-Standard ist künftig technologisch einiges zu erwarten (Bild 5).

Der Autor:
Rüdiger Peter ist Produktmanager im Bereich Communication Interfaces bei der Phoenix Contact Electronics GmbH in Bad Pyrmont.


  1. Die Rolle von VDSL, SHDSL und G.hn in der Industrie 4.0
  2. Gigabit-Extender: Einfache Inbetriebnahme per Plug-and-Play

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