Mythos und Realität

»Blockchain ist aus ­Gesellschaftssicht eine Revolution«

8. Januar 2018, 10:44 Uhr | Karin Zühlke
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Keine Spur von Winterschlaf

Ist Deutschland Ihrer Meinung nach für die Blockchain-Technologie gut aufgestellt? Es gibt Stimmen, die sagen, Deutschland wolle sich erst einmal gar nicht an der Standarsisierung beteiligen oder befinde sich noch im Blockchain-Winterschlaf.

Die Behauptung, dass Deutschland nicht mitmachen wollte, kann ich nicht einordnen, da wir von Anfang an dabei waren. Es kann sein, dass es, bevor die ISO ihre Arbeit aufgenommen hat, eine eher abwartende Haltung gab, aber das ist jetzt letztlich irrelevant.

Fakt ist: Die Blockchain-Basis-Technologien werden in Deutschland sehr aktiv vorangetrieben. Wir haben die wichtigsten Blockchain-Player Etherium und IOTA in Berlin vertreten und können sogar eine Art regionale Cluster-Spezialisierung vorweisen: In Frankfurt konzentriert man sich vorwiegend auf die Blockchain im Finanzsektor, in Hamburg passiert viel zum Thema Blockchain in der Logistik und in Berlin sind die Blockchain-Basistechnologien sehr präsent. Wir sind hierzulande seriös, sauber und strukturiert am Entwickeln. Es wäre nicht sachgerecht oder fair, dies als Winterschlaf zu bezeichnen. In Deutschland neigen wir hingegen eher nicht dazu, in unkoordinierte Hyperaktivität zu verfallen.

Wir wollen aber auch in Deutschland kein Silicon Valley werden, sondern mit Bedacht und nachhaltig vorgehen, und das finde ich sehr gut. Wir sind definitiv sehr weit weg davon, passiv zu sein, oder davon, dass wir den Anschluss verlieren. Ich bin sogar der Meinung, dass wichtige nachhaltige Kernentwicklungen aus Deutschland heraus getrieben werden. Es sind natürlich immer internationale Communities, aber wichtige Kernentwickler von Ethereum kommen aus Deutschland, IOTA ist eine deutsche Foundation und Big ChainDB hat ihren Sitz in Berlin.

Was uns fehlt, sind prominente Use-Cases. Der bisher dominanteste Anwendungsfall sind geldähnliche Transaktionen mit Crypto-Currencies wie Bitcoin oder Initial Coin Offerings in Etherium. Aber über die Finanzwelt hinaus gibt es sehr interessante Anwendungsfälle wie das Beispiel Slock.it, um nur einen von vielen Namen zu nennen. Auch in der Logistik gibt es bereits spannende Use-Cases.

Worum handelt es sich bei Slock.it?

Das Start-Up hat ein Smart-Sharing-Konzept auf Blockchain-Basis entwickelt. Damit lassen sich zum Beispiel Gegenstände oder auch Immobilien vermieten, die mit einem smarten Schloss ausgestattet sind. Gesteuert wird alles über eine App und bezahlt mit Krypto-Currencies.

Sie sind an der HAW Professor für technische Informatik – an welchen Blockchain-Projekten forschen Sie derzeit?

Wir forschen aktuell an der Industrie-4.0-­Automatisierung über Blockchains. Dabei handelt es sich um die Absicherung von der Sensor-Sensor- oder Sensor-Maschine-Kommunikation analog zu IOTA und dem firmenübergreifenden Datenaustausch. Eine andere Anwendung, an der wir arbeiten, ist der wissenschaftliche Datenechtheitsnachweis und -austausch über Blockchains.

Inwieweit hemmt das Hin und Her bei der Regierungsbildung in Berlin die Innovationsfähigkeit Deutschlands? Ein Haushalt für 2018 ist ja nach wie vor nicht in Sicht.

Wir haben ein rückwirkendes und vorausgreifendes Innovationsproblem, weil die erforderlichen finanziellen Mittel für Projektneuanläufe nicht zur Verfügung gestellt werden. Forschungsanträge können derzeit nicht bewilligt werden, auch wenn sie bereits positiv evaluiert wurden. Das Bundeshaushaltsgesetz konnte nicht zum 1.1.2018 in Kraft treten, weil die derzeit geschäftsführende Regierung keinen Haushalt verabschiedet. Das heißt, es liegen zig Forschungsanträge auf Eis. Das betrifft auch meine Arbeit. Im normalen Geschäfts­betrieb hätte ich zum 1. Januar vier neue Projekte am Start. Die müssen nun warten, bis der Haushalt verabschiedet ist. Und das kann sich bis in den Sommer oder Herbst 2018 hinein ziehen. Geplante Projekte veralten und können also erst mit mehrmonatiger Verspätung starten und neue Projekte werden nur zögerlich beantragt, weil sich die Projektlast nach dem Genehmigungsstau ansonsten nicht mehr managen lässt.

Sie waren vor Ihrer akademischen Laufbahn Entwicklungs- und Forschungsleiter von großen Elektronik- bzw. Automatisierungskonzernen und kennen unsere Leser-Zielgruppen also bestens. Wie schätzen Sie den Wert der Blockchain für unsere Industrie ein, sprich: Wo kann sie nutzenstiftend sein?

Wir müssen auf die Archetypen der Anwendungsfälle schauen. Überall dort, wo man ansonsten mit Einzelinstanzen konfrontiert wäre, denen man vertrauen müsste, oder überall da, wo eine Echtheit von Informationen, deren Eigentum oder deren Urheberschaft zu beweisen wäre, bieten Blockchains eine hervorragende Basis.
Wir können über die Blockchain in der Automatisierung sehr viele Produkte miteinander sprechen lassen, ohne dass Sie darauf vertrauen müssen, dass eine einzelne Funktionseinheit reibungslos funktioniert. Bei Industrie 4.0 sprechen wir von einer asynchron dezentralen Automatisierung – hierzu passt die Blockchain also hervorragend als Basistechnologie.

Dürfen wir die Blockchain-Technologie wirklich als Revolution einordnen, wie es derzeit so gerne – zugegeben auch von uns – propagiert wird?

Technologisch ist es eher eine interessante Weiterentwicklung durch Kombination des Standes des Technik, der seit den 1970ern aufgebaut wurde. Gesellschaftlich hingegen betrachtet ja, weil Blockchain das Potenzial hat, viele Grenzen, die wir gesellschaftlich aufgebaut haben, einzureißen.

Es ist ein Prozess in Gang gesetzt, den keiner mehr stoppen kann, und das würde ich schon als Potenzial zur gesellschaftlichen Revolution betrachten. Die Blockchain wird von vielen Menschen als In­stanz gegen zentralistische Regulierung gesehen. Mit Hilfe der Blockchain könnten z.B. auch Wahlen losgelöst vom Ursprungsland fälschungssicher stattfinden oder der Herstellungs- und Lieferprozess von Medikamenten lückenlos nachgewiesen werden.


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