Bayern braucht mehr Strom und produziert weniger. In der bayerischen Strombilanz werden die Folgen der energiepolitischen Entscheidungen von Bundes- und Staatsregierung seit 2011 sichtbar.
Die bayerische Stromerzeugung ist nach dem Atomausstieg auf den niedrigsten Wert seit über dreißig Jahren gesunken. Der Verband der bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft geht nach ersten Berechnungen davon aus, dass 2023 etwa 64 Terawattstunden Strom in Bayern erzeugt wurden. Das teilte der Verband der bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) am Donnerstag mit.
Das ist nach Angaben des Verbands der niedrigste Wert seit den späten 1980ger Jahren. Und im Vergleich zum Höchststand im Jahr 2012 ist die bayerische Stromerzeugung um fast ein Drittel - annähernd 30 Terawattstunden - zurückgegangen. Das zeigt der Vergleich mit den Daten des Statistischen Landesamts und des Länderarbeitskreises Energiebilanzen. Eine Terawattstunde entspricht 1000 Gigawattstunden beziehungsweise einer Milliarde Kilowattstunden.
Ursache des starken Rückgangs ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern mit der Abschaltung der Atomkraftwerke nicht Schritt gehalten hat, welche einst über die Hälfte des bayerischen Stroms erzeugten. Im Frühjahr 2022 war Isar II als letztes bayerisches Kernkraftwerk vom Netz gegangen.
Auch 2024 wird die Bruttostromproduktion in Bayern demnach voraussichtlich im Bereich von etwa 65 Terawattstunden liegen. «Das sind in der Jahressaldobetrachtung rund 20 Terawattstunden weniger als in Bayern verbraucht werden», sagte VBEW-Hauptgeschäftsführer Detlef Fischer. «Der Unterschied wird importiert, auch weil dies günstiger ist, als die teuren Erdgaskraftwerke rund um die Uhr zu betreiben.»
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hatte die Bundesregierung unter maßgeblicher Beteiligung des damaligen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Horst Seehofer beschlossen, den eigentlich bereits verschobenen Atomausstieg wieder vorzuziehen.
In den Folgejahren bremste Seehofer (CSU) in seiner Amtszeit bis 2018 dann den Ausbau der Windkraft in Bayern, indem die Staatsregierung den vorgeschriebenen Abstand von Windrädern zur nächst gelegenen Siedlung vergrößerte. 2018 war die bayerische Stromerzeugung bereits auf 75 Terawattstunden Strom zurückgegangen, 2022 waren es nach noch 68,5 Terawattstunden.
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist in den vergangenen Jahren zwar kräftig gestiegen, aber nicht schnell genug, um den Atomausstieg zumindest rechnerisch auszugleichen. Größter Stromerzeuger in Bayern ist laut VBEW mittlerweile Photovoltaik. 2023 wurden demnach Solaranlagen mit rund 3500 Megawatt Leistung hinzugebaut, so viel wie noch nie in einem Jahr.
«Dieser Strom fällt größtenteils vom März bis September an», sagte Fischer. «In den Monaten Dezember und Januar steht er quasi gar nicht zur Verfügung. Wenn es in Bayern also mal eng mit der Stromversorgung werden sollte, dann im Winter, wenn überall der Strom knapper ist.»
Das ist deswegen von Bedeutung, weil sich auch der Bau der zwei geplanten Höchstspannungstrassen von Nord- nach Süddeutschland um mehrere Jahre verzögert. Beteiligt war auch daran Seehofer, der wegen Bürgerprotesten auf eine unterirdische Verlegung als Erdkabel bestand.
Die ursprünglich angedachten Freileitungen hätten nach Angaben des Übertragungsnetzbetreibers Tennet 2022 fertig gestellt werden sollen. Nun stehen die Jahre 2027 und 2028 in Aussicht. Einher geht dies mit sehr viel höheren Kosten: Nach Angaben eines Tennet-Sprechers sind Erdkabel bei heutigen Preisen etwa doppelt so teuer wie Freileitungen.
Der heutige Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bezeichnete die zwei Trassen über Jahre als unnötig, um dann die Kehrtwende zu vollziehen: Angesichts des hohen bayerischen Strombedarfs fordert Aiwanger mittlerweile eine dritte Trasse und warf der Bundesnetzagentur bereits eine Benachteiligung Bayerns vor.
«Es ist schon ein bemerkenswerter Wandel, wenn eine quasi partei- und personenidentische Staatsregierung zunächst die neuen Stromtrassen mit allen Mitteln bekämpft, dann bei jedem Spatenstich fleißig mitschaufelt und oben drauf noch weitere Leitungen fordert, als wäre nichts gewesen», sagt Fischer dazu. «Das ist gelebte Transformation, wie ich sie mir von der gesamten Gesellschaft wünsche.»
Das Ungleichgewicht von hoher Ökostromproduktion im Norden und hohem Strombedarf im Süden belastet auch das deutsche Stromnetz. Die Kosten des so genannten «Engpassmanagements» sind nach Daten der Bundesnetzagentur 2022 auf 4,2 Milliarden Euro gestiegen.
Das liegt unter anderem an den beiden fehlenden Stromtrassen. Um die bestehenden Leitungen nicht zu überlasten, werden immer wieder teure Ersatzkraftwerke in Süddeutschland angeschaltet, während in Norddeutschland produzierter erneuerbarer Strom «abgeregelt» wird - also nicht genutzt werden kann. Der Fachbegriff dafür lautet «Redispatch».
Diese Kosten werden zumindest in näherer Zukunft hoch bleiben. «Kurzfristig ist noch nicht mit einer Entlastung der Redispatch-Kosten zu rechnen», sagte eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin. «Zentral ist eine rasche Fertigstellung der großen Stromautobahnen, die den günstigen Windstrom aus dem Norden in die Verbrauchszentren im Süden transportieren. Gleichzeitig muss der Ausbau der eneuerbaren Energien auch im Süden Deutschlands vorangetrieben werden.»