Was wären den in der Praxis die nächsten Schritte, die unbedingt angegangen werden müssten?
Der dringendste Handlungsbedarf besteht im Verteilnetz: Welche Funktionen sind wirklich erforderlich, um das Verteilnetz zu automatisieren? Und wie können alle die dezentralen Marktteilnehmer – Erzeuger wie Verbraucher – in das System integriert werden?
Die Höchst- und Hochspannungs-Übertragungsnetze haben die Versorger ja schon weitgehend automatisiert, können sie die Erfahrungen nicht übernehmen?
Natürlich kann man auf Erfahrungen im Übertragungsnetz aufbauen, aber man kann die Lösungen nicht einfach übernehmen, allein schon aus wirtschaftlichen Gründen. Die intelligente Automation und beispielsweise die neuen regelbaren Ortsnetztrafos müssen etwas anders ausgelegt sei als in den Übertragungsnetzen. Hier spielt auch wieder die Komplexität eine große Rolle. Mit der steigenden Zahl der Photovoltaik- und Windanlagen steigt die Komplexität, was grundsätzlich eine Herausforderung für die Zuverlässigkeit mit sich bringt.. Es wird deshalb darauf ankommen, mit Störungen effektiv umzugehen, anstatt sie von vorne herein um jeden Preis zu vermeiden, was bisher das Prinzip war. Dazu bedarf es der Überwachung und der Fernsteuerbarkeit, um die Geräte nach einer Störung wieder einschalten zu können. So könnte man sowohl die Zuverlässigkeit gewährleisten als auch Geld sparen.
Aber nicht nur die Automatisierung der Verteilnetze hinkt hinterher, das gleiche gilt für den Ausbau der Übertragungsnetze. Sehen Sie Anzeichen, dass der Ausbau der Stromautobahnen jetzt stärker vorangetrieben wird?
Es ist viel Bewegung in dieses Thema gekommen, neue Lösungen werden inzwischen ernsthaft evaluiert, um den Ausbau zügiger zu ermöglichen. Beispielsweise wird inzwischen offen über zwei HGÜ-Fernleitungen mit Nord-Süd-Ausrichtung gesprochen…
…und gehen noch in diesem Jahrzehnt in Betrieb?
Ich rechne mit dem Baubeginn in maximal fünf Jahren. Aber es könnte ja auch mal eine Überraschung geben und alles geht viel schneller, immerhin zeigt die Politik ja Gestaltungswillen. Es ist doch erfreulich, dass sich nun alle Beteiligten sehr stark um diese Themen kümmern und alte Denkmuster aufbrechen. Plötzlich scheint es möglich, HGÜ-Trassen auch zum Teil als Kabel unter der Erde zu bauen. Das war vor fünf Jahren in Deutschland noch kaum vorstellbar. Als ABB haben wir umfangreiche Erfahrung im Bau von HGÜ-Leitungen gesammelt und können HGÜ-Kabel unter Wasser und an Land in sehr kurzer Zeit verlegen.
Bisher sprachen doch die Kosten gegen Kabel unter der Erde, hat sich das geändert?
Die Frage lautet: Wie viel darf die Infrastruktur kosten? Wie viel kostet es denn, wenn sie nicht gebaut wird? Wir müssen auf die Gesamtkosten schauen und uns fragen, was wir uns leisten wollen. 100 Mrd. Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu stecken und dann beim Netzausbau um einstellige Milliardenbeträge zu ringen ist inkonsistent und volkswirtschaftlich ineffizient.