Automatisierung der Verteilnetze, Ausbau der Übertragungsnetze

Smart Grid: Die Zeit läuft davon

22. November 2011, 9:49 Uhr | Heinz Arnold
Prof. Kreusel: »Einerseits gibt es derzeit für das Smart Grid nur Inselsysteme und Piloten, durchgängige Systeme, die flächendeckend voll ausrollbar wären, sind nicht in Sicht. Andererseits läuft die Zeit davon.«
© VDE

»100 Mrd. Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu stecken und beim Netzausbau um einstellige Milliardenbeträge zu ringen - das wird nicht funktionieren«, erklärt Prof. Jochen Kreusel, Leiter des Konzernprogramms Smart Grids von ABB und Vorsitzender der Energietechnischen Gesellschaft im VDE, im Interview.

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Prof. Jochen Kreusel, VDE
Prof. Kreusel: »Einerseits gibt es derzeit für das Smart Grid nur Inselsysteme und Piloten, durchgängige Systeme, die flächendeckend voll ausrollbar wären, sind nicht in Sicht. Andererseits läuft die Zeit davon.«
© VDE

Energie & Technik: Ob es um die Automatisierung der Verteilnetze oder um neue Übertragungstrassen geht: Der Ausbau der Infrastruktur hinkt dem Zubau an erneuerbaren Energiequellen weit hinterher. Schon gibt es Stimmen, die den Erfolg der Energiewende in Deutschland bezweifeln.

In Würzburg fand kürzlich der Kongress »Umsetzungskonzepte nachhaltiger Energiesysteme - Erzeugung, Netze, Verbrauch« der Energietechnischen gesellschaft (ETG) im VDE statt. Hat der Kongress neue Erkenntnisse gebracht, wie der Ausbau des Smart Grids voran getrieben werden kann?

Prof. Kreusel: Im Zentrum der Diskussionen steht nicht mehr, wie es überhaupt funktionieren kann – im Grunde sind die Techniken vorhanden – sondern: Wie können wir das ganze umsetzen? Das bewegt alle. 

Wie wird denn das Smart Grid in der Realität aussehen?

Es besteht inzwischen ein recht breiter Konsens darüber, was ein Smart Grid am Ende leisten soll.. Allerdings erkennt man schon, wenn man nur die erforderliche Informationstechnik betrachtet, um etwa dezentrale Energieerzeuger und die Elektromobilität in die Netze einzubinden: Es handelt sich um ein außerordentlich komplexes System. Wir dürfen nicht in die Komplexitätsfalle tappen, wir müssen herausfinden, wie wir die Komplexität handhabbar machen können. Das ist noch nicht einmal im Ansatz gelöst. Einerseits gibt es derzeit für das Smart Grid nur Inselsysteme und Piloten, durchgängige Systeme, die flächendeckend voll ausrollbar wären, sind nicht in Sicht. Andererseits läuft die Zeit davon.

Was fehlt ist also ein übergreifendes Konzept?

Wir brauchen erstens ein technisches Konzept, das primär auch die Energietechnik – nicht nur die Informationstechnik – einschließen muss. Das ist eine integrale Aufgabe, denn schlussendlich sprechen wir über ein einziges technisches System. Zweitens muss parallel dazu ein regulatorischer Rahmen aufgebaut werden, der es vielen unabhängigen Akteuren erlaubt, mit zu spielen und dieses System aufzubauen.. In dieser Parallelität liegt das große Problem.

Die Informationstechnik könnte doch auch zur Vereinfachung beitragen?

Ja, beispielsweise ließen sich Datenstrukturen einführen, die es ermöglichen, alle Abrechnungen auf diese Struktur abzubilden. Das wäre ein Schritt zur Vereinfachung, daran wird gearbeitet. Das gab es eben bisher in der Energietechnik nicht. Gleichzeitig müssen die neuen erneuerbaren Energiequellen ins Nieder- und Mittelspannungsnetz integriert, Demand-Response-Regelungen eingeführt und Energiehandel ermöglicht werden. Künftig spielen also viel mehr Akteure mit, deren Funktionen noch gar nicht klar beschrieben sind – das ist das Gegenteil von dem was bisher galt.  

Bisher gibt es auch keine variablen Tarife, auf Basis derer die Akteure Lastmanagement durchführen und neue Geschäftsmodelle entwickeln könnten?

Die Geschäftsmodelle sind zwar im Entstehen, der Rollout der intelligenten Zähler aber ist etwas mühsam und der Aufwand ist hoch.. Es geht ja nicht nur um die Zähler selber, die Versorger müssen ihre Softwaresysteme ändern, anpassen oder austauschen. Im Moment sehen sie nicht, dass sich der Aufwand für sie lohnen könnte. Und damit sich die neuen Geschäftsmodelle umsetzen lassen, müssen die variablen Tarife verfügbar sein.  

Einerseits arbeiten die Beteiligten an  übergreifenden Konzepten, andererseits passiert nicht viel, um die Konzepte in der Realität umsetzen zu können. Und die Zeit läuft davon…

…wir können uns nicht erst mal hinsetzen, intensiv und lange nachdenken, bis wir endlich eine Roadmap festgelegt haben, die dann die nächsten 50 Jahre gilt. Wir müssen in der Praxis Erfahrung sammeln und gleichzeitig neue Lösungen einführen.. Das bedeutet, dass wir einen laufenden Lern- und Rückkopplungsprozess organisieren müssen. Auch das wird alleridngs ein langer Weg. Das sollte man nicht unterschätzen.       


  1. Smart Grid: Die Zeit läuft davon
  2. Im Verteilnetz besteht dringender Handlungsbedarf

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