Die Time-Sensitive-Networking- (TSN-) Arbeitsgruppe – eine Weiterführung der Audio-Video-Bridging- (AVB-) Arbeitsgruppe der IEEE 802 – sowie die Internet Engineering Task Force (IETF) haben gemeinsam mit anderen Standardisierungsgremien die Fähigkeiten von zeitkritischen Systemen über Ethernet untersucht und entsprechende Erweiterungen entwickelt, um Anwendungen in verschiedenen Märkten wie professionelle Audio-/Videoverarbeitung, automotive und industrielle Steuersysteme zu unterstützen. Diese neuen oder erweiterten Standards, die primär in IEEE 802.1 TSN umgesetzt werden, definieren verschiedene Mechanismen, mit denen verteilte, synchronisierte und zuverlässige Anwendungen über Ethernet kommunizieren können und dabei alle notwendigen Eigenschaften für deterministisches Verhalten des Netzwerks auch tatsächlich garantieren.
Damit füllt das um TSN erweiterte Ethernet eine Lücke im bisherigen Traffic Management von Ethernet, nämlich jene zur Garantie von Nachrichten-Latenz auch im Fall von Hoch- oder Überlast, und selbst dann noch, wenn aus anderen Gründen eine Botschaft im Netzwerk verloren gehen sollte („nahtlose Redundanz“). TSN kann daher die von Automatisierungs- und Kontrollanwendungen geforderten präzisen Zeitintervalle für die Übertragung von Nachrichten zwischen speicherprogrammierbarer Steuerung und I/O-Knoten oder Motion Controller und Servodrives auf der Netzwerkebene sicherstellen und nicht nur die dafür notwendige Bandbreite, sondern auch den richtigen Moment, in dem diese verfügbar sein muss, garantieren. Dadurch können Anwender und Systemlieferanten separate Netzwerke und verteilte Anwendungen zusammenführen und damit effizienter bauen, betreiben und warten.
Hier kommt nun die Avnu-Allianz ins Spiel. Die Avnu-Allianz ist eine industrieübergreifende Interessensgruppe von Unternehmen aus den Bereichen Professional Audio/Video, Consumer, Automotive und Industrie mit dem Ziel, das Ökosystem von Komponentenanbietern (Tier 1-2) und Systemanbietern (OEMs) rund um AVB und TSN zu formen und zu fördern. Im industriellen Segment der Avnu-Allianz finden sich Mitgliedsunternehmen quer über das gesamte Zulieferspektrum, von Chipherstellern, Netzwerkinfrastrukturanbietern und Spezialisten für Automatisierungskomponenten bis hin zu großen OEMs und Systembetreibern. Sie alle haben als gemeinsames Ziel, in diesem Ökosystem Technologien zu fördern, mit denen hoch präzise und hoch zuverlässige industrielle Netzwerkanwendungen auf Basis von TSN realisiert werden können.
Dazu erstellt und lizenziert die Avnu-Allianz Spezifikationen für Conformance-Tests und entwickelt Zertifizierungsprogramme, durch die die einzelnen Komponentenhersteller ihre Kompatibilität und Interoperabilität über Anbieter und Industrien hinweg überprüfen und nachweisen können. Zielanwendungen für diese Tests und Zertifizierungen finden sich in so unterschiedlichen Bereichen wie autonomes Fahren, Energieerzeugung und -verteilung, Medizintechnik, Robotik, Prozess- und Industrieautomatisierung etc. (Bild 1). In all diesen Anwendungsbereichen gibt es den Bedarf nach stärkerer Vernetzung unter Beibehaltung von spezifischen Garantien für die Nachrichtenübermittlung im Netzwerk, wobei hohe Sicherheit, Verfügbarkeit und Flexibilität auch durch Software Defined Networking (SDN) eine große Rolle spielen.
Neben der Sicherstellung der Interoperabilität in den genannten Bereichen will die Avnu-Allianz auch eine gemeinsame technologische Basis für diese vernetzten Lösungen fördern und arbeitet daher mit verschiedenen anderen wichtigen Standardisierungsorganisationen zusammen (Bild 2). Hier geht es insbesondere um die effiziente gemeinsame Entwicklung von Netzwerkkomponenten und Protokollen bzw. Technologien für Synchronisation und zuverlässige Datenübertragung durch die unterschiedlichen Anbieter und Mitglieder der Allianz.
Zu diesem Zweck organisiert und unterstützt die Avnu-Allianz sogenannte Testbeds und Plugfests, bei denen die Mitgliedsunternehmen ihre Komponenten anhand realitätsnaher Anforderungen in einer praxisnahen Installation auf Funktionalität und Interoperabilität testen und das Verhalten analysieren können. Als prominentes Beispiel hierfür kann das Time Sensitive Networking Flexible Manufacturing Testbed des Industrial Internet Consortium (IIC) dienen (Bild 3). An diesem Testbed arbeiten viele Unternehmen mit, die ihre TSN-fähigen Komponenten gemeinsam testen und weiterentwickeln möchten. Dadurch soll die Reifung von TSN-Lösungen beschleunigt und die steigende Akzeptanz und Verbreitung von TSN bei führenden Herstellern im Bereich industrieller Steuerungen demonstriert werden. Das IIC TSN Testbed ist das erste TSN-zentrierte Testbed der Welt und gewann den „Best Testbed Award“ auf der IoT Solutions World 2017.
Mit solchen interaktiven und anwendungsnahen Integrations- und Testsystemen fördert die Avnu-Allianz einerseits den Fortschritt der technischen Entwicklung bei den Mitgliedern, andererseits senden diese Aktivitäten ein deutliches Signal an den breiten Markt: TSN ist die kommende neue Generation von Ethernet für vernetzte Industrial-IoT-Anwendungen, die hohe Performance und präzise Latenzen garantieren müssen. Mit dieser Botschaft hat das TSN Testbed bereits einen spürbaren Einfluss auf die Zulieferkette für Automatisierungslösungen genommen: Die Teilnehmerzahl bei den Testbeds, aber auch bei TSN-spezifischen Kongressen und Veranstaltungen erreicht laufend neue Höchstwerte.