Elektronik: Thales hat Sie offenbar vor allem wegen PikeOS gekauft. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft Ihrer Linux-Distribution vermuten.
Degen: Das Gegenteil ist der Fall. Dazu muss man wissen, dass Deutschland das erste Land war, in dem Linux im Embedded-Bereich eingesetzt wurde. Wir waren da sehr früh dran. In Frankreich ist das erst fünf bis sechs Jahre später losgegangen und da ist Embedded-Linux jetzt ein richtig heißes Thema, während es in Deutschland schon Mainstream ist. Wir machen heute mit ELinOS in Frankreich wesentlich mehr Umsatz als in Deutschland. In den verschiedenen Abteilungen von Thales werkelt heute jeder an seinem eigenen Embedded-Linux herum. Da sieht Thales gute Synergie-Effekte in der Nutzung einer gemeinsamen Distribution mit einem vernünftigen Build-System etc.
Elektronik: Waren Ihnen denn die Forschungsförderung, die es auf nationaler und europäischer Ebene gibt, keine Hilfe? Oder ist da der Zugang zu schwer?
Degen: Doch, wir haben auch ganz viel bei FP7 und bei drei Artemis-Projekten mitgemacht. Ohne diese Programme hätten wir längst nicht so viele Entwicklungsaktivitäten entfalten können. Seit dem 7. Rahmenprogramm der EU, das seit 2007 läuft, ist es auch für mittelständische Firmen leichter, da mitzumachen. Das ganze Gejammer, das sei so aufwändig, stimmt nicht mehr. Wenn man das wirklich will und etwas Geschick hat, kommt man da auch rein.
Elektronik: In Deutschland spielt der Mittelstand eine tragende Rolle, während die Industrie in Frankreich sehr stark von Großunternehmen geprägt ist. Stimmt es, dass es zwischen Großunternehmen und Politik viel stärkere Verflechtungen als in Deutschland gibt, und macht das Unternehmensgründungen in Frankreich nicht sehr schwer?
Degen: Ja. Wir haben es in Frankreich mit einem zentralisierten Staat und in Deutschland mit einem föderalen Staat zu tun. Das merkt man an allen Ecken und Enden. Allerdings gibt es in Frankreich auch ein paar ganz interessante Ansätze. Zum Beispiel müssen die Versicherungen, um Steuervorteile zu haben, jedes Jahr ein Prozent ihres Gewinns in einen Start-up-Fonds investieren. Oder: Als die Finanzkrise war, gab es keine Wirtschaftsförderung, sondern es konnten einfach alle Forschungs- und Entwicklungskosten von der Steuer abgesetzt werden. Dafür gibt es aber kaum noch Förderprojekte wie z.B. SPES 2020 bei uns. Die Steuervorteile kommen natürlich eher wieder den Großunternehmen zugute, die damit wesentlich besser jonglieren können. Aber die typische Schwäche von zentralisierten Systemen ist: Wer an den Schaltstellen sitzt, bleibt da auch sitzen. Das führt meist nicht zu einer Dynamik in der Wirtschaft, sondern eher zur Manifestierung des Vorhandenen.
Elektronik: Thales hat angekündigt, dass Sysgo unabhängig bleiben soll und seinen Markenauftritt behalten soll. Soll man das wirklich glauben?
Degen: Ich finde es eine mutige Entscheidung von Thales zu sagen: „Wir brauchen Euch aus zwei Gründen: Erstens, wir haben ein solches Sammelsurium von Software und Betriebssystemen, dass wir das intern mit Hilfe der Sysgo-Plattformen konsolidieren wollen. Und zweitens: Wir müssen das nicht alles allein bezahlen, sondern Sysgo kann seine Produkte verkaufen, an wen es will.“ Deshalb haben die auch überhaupt nichts dagegen, wenn wir unser Betriebssystem an GE und an Rockwell Collins verkaufen können, obwohl Thales Haupt-Zulieferer von Airbus ist.
Außerdem bekommen wir endlich das Investment, das wir uns schon lange gewünscht haben, um Marketing und Vertrieb auszubauen,
Elektronik: Und das Management bleibt auch das Gleiche?
Degen: Ja, und und es hält auch noch mehr als fünf Prozent der Sysgo-Anteile. Die fünf Prozent sichern uns auch weiterhin ein bestimmte aktienrechtliche Mitspracherechte.
Elektronik: Wo wird Sysgo in fünf Jahren stehen?
Degen: Wir werden einer der drei globalen Anbieter für zertifizierte Betriebssysteme sein, die Software unterschiedlicher Kritikalität auf einem Computer laufen lassen können. Wir werden stark sein in Asien und wir werden in Europa die präferierte Lösung sein bei allem, was mit Security zu tun hat. Dabei kommt uns zugute, dass die Integration mehrerer Funktionen auf einem Gerät - die TU München nennt das die „funktionale Dichte“ - nicht nur in der Luftfahrt zunehmen wird. Das Gleiche passiert in der Bahntechnik und auch im Automobil schätze ich, dass wir das in vier bis fünf Jahren in der Serie sehen werden.