Wissenschaftler der Universität Göttingen und des Institut Laue Langevin (ILL) berichten im Magazin Nature von der Entdeckung eines neuen Eises, des »Eis XVI« mit der bislang geringsten bekannten Dichte. Es könnte zu neuen Lösungen bei der Energie-Gewinnung, Speicherung und dem Transport führen.
Das »Eis XVI« verfügt über hochgradig symmetrischer Strukturen aus »Käfigen«, die Gasmoleküle und Atome einfangen können und mit ihnen Verbindungen formen, die als Einschlussverbindungen oder Gas-Hydrate bekannt sind. Bekannt ist über Einschlussverbindungen, dass sie am Meeresboden in Sedimenten und in Permafrostgebieten sehr große Mengen von Methan und anderen Gasen speichern. Laut World Energy Outlook der Internationalen Energie Agentur aus dem Jahr 2007 übersteigt die Gesamtmenge von Methangas, das in Käfigstrukturen am Meeresgrund gebunden ist, die ausbeutbaren Reserven konventioneller Rohstoffe wie Gas, Erdöl oder Kohle um ein Vielfaches.
Thomas Hansen, einer der Autoren der Studie und Instrumentenwissenschaftler am D20 des ILL, sagt: »Es bleibt anzumerken, dass Gashydrate auch mit Kohlendioxid gebildet werden können, das bei den Bedingungen am Meeresgrund stabil sein kann. Es besteht also die Möglichkeit, Methan aus dem Methanhydrat zu extrahieren, um es in nutzbringende Energie umzuwandeln, indem man es mit CO2 ersetzt. Anders gesagt: Wir könnten CO2 im Austausch für Methan in Gas-Hydraten auf den Meeresgrund bringen. Die damit verbundenen Herausforderungen sind natürlich gewaltig und die Machbarkeit bleibt noch fraglich. Diese Möglichkeit bleibt dennoch äußerst faszinierend und ist es wert, weiter erforscht zu werden.«
Die Wissenschaftler aus Göttingen und Grenoble haben erstmals einen Rahmen von Wassermolekülen gebildet, bei dem die Gastmoleküle entfernt wurden. Bislang ging man davon aus, dass die Konstellation nur hypothetisch sei. Leere Einschlussverbindungen spielen eine wichtige Rolle beim Verständnis der physikalischen Chemie von Gashydraten. Die Forschungen an diesen könnte den Transport von Gas und Öl durch Pipelines in Gegenden niedriger Temperaturen erleichtern und die bisher ungenutzten natürlichen Gasvorkommen am Meeresboden erschließen.
Zur Herstellung von Eis XVI synthetisierten die Forscher eine mit Neongas-Atomen gefüllte Einschlussverbindung, die sie anschließend entfernten. Die Neongas-Atome wurden bei niedrigen Temperaturen vorsichtig herausgepumpt, ohne, dass die empfindliche Gesamtstruktur gefährdet wurde. Dafür wurde die Neon-Käfigverbindung bei Temperaturen von circa 140° K im Vakuum gepumpt, während die Daten der Neutronenbeugung mit dem Hochfluss-Difraktometer D20 des ILL erhoben wurden. Die so aufgenommenen Beugungsbilder erlaubten es ihnen, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die Käfigverbindung vollständig geleert war. Zudem lieferten sie ein vollständiges Bild der entstandenen Struktur.
Da die leere Käfigverbindung als ein Referenzrahmen für zahlreiche molekulare Simulationen von Gashydraten benutzt wird, haben sich Wissenschaftler bis heute auf annähernde theoretische Modelle gestützt, um ihre Arbeit zu untermauern. Die Rahmenstruktur der leeren Käfigverbindung, die am ILL erreicht wurde, macht es möglich, deren grundlegende strukturelle und thermodynamische Eigenschaften genauer zu bestimmen. Die Fähigkeit, solche leeren Käfigstrukturen zu schaffen und zu beobachten, hat das Potenzial, das Verständnis solcher Gashydrate erheblich zu verbessern.
Ein Gebiet, bei dem die Forschung mit Käfigstrukturen unmittelbareren Nutzen haben wird, ist die Wartung von Pipelines, durch die Gas mit hohem Druck und bei niedriger Temperatur transportiert wird. Diese Bedingungen können dazu führen, dass sich Gashydrate in den Rohren bilden, die diese verstopfen können. Um dies zu verhindern, wendet die Industrie weltweit rund 500 Millionen US-Dollar (ca. 400 Millionen Euro) im Jahr auf. Angesichts der hohen ökonomischen Bedeutung solcher Pipelines, stellt das einen hohen Kostenfaktor dar, der mit weiteren Forschungen an Käfigverbindungen reduziert werden kann.
»Leere Einschlussverbindungen waren Jahre lang Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Spekulationen, weil deren tatsächliche Existenz ziemlich unsicher war. Mit der dieser Entdeckung kommen wir aus dem Bereich der Spekulationen. Mehr noch: Sie liefert uns einen neuen Edelstein aus der faszinierenden Schatzkiste von Eis-Phasen. Das Bestimmen der Eigenschaften von Eis XVI wird ein weiterer Meilenstein für jedes Modell sein, das die physikalischen Eigenschaften von Wasser beschreiben will. Das allein ist schon ein enormer Fortschritt. Mit diesem Verständnis hoffen wir, Fortschritte bei den damit verbundenen Fragen zum Thema Energie zu machen«, erklärt Helmut Schober, Wissenschaftsdirektor des ILL.