»Unternehmen sollten sofort mit der Planung und Umsetzung beginnen, statt auf die endgültigen Fristen zu warten.« Das ist der Rat, den Holger Urban, Head of Global Product Management von Schaffner, mit Bezug auf die Änderungen in der EMV-Richtlinie 2024/30/EU gibt.
Dass es hierzu noch einiges an Unsicherheiten gibt, zeigt eine Umfrage, die die schweizerischen EMV-Experten unter ihren Kunden gestartet haben.
Markt&Technik: Herr Urban, die Elektronikwelt sieht sich mit neuen EMV-Vorschriften konfrontiert, die unter anderem eine Erweiterung der Konformitätsprüfung von Geräten bis hinunter auf eine Frequenz von 9 kHz vorsehen. Was sind die wichtigsten Änderungen?
Holger Urban: Die neuen EMV-Vorschriften bringen unter anderem neue Grenzwerte im Bereich von 9 kHz bis 150 kHz mit sich. Daraus leiten sich spezifische Anforderungen für bestimmte Industriezweige ab, die nach den Änderungen in den generischen Regularien in Kraft treten beziehungsweise bearbeitet werden. Die Grenzwerte im unteren Bereich von 9 kHz bis 150 kHz sind teileweise schon bekannt und werden dementsprechend in weiteren generischen Standards in abgewandelter Weise hinzugefügt. Die Einhaltung der Grenzwerte ist dabei nicht bei allen Systemen kritisch, sollte aber trotzdem untersucht werden, um sicherzustellen, dass die Kundensysteme auch in Zukunft die Standards einhalten und weiterhin in den Markt eingebracht werden können.
Die nächsten Änderungen, die wir in unserem Geschäftsumfeld sehen, sind die Anpassungen an den Standard für Motorantriebe bzw. Werkzeugmaschinen (IEC61800-3). Dabei hat hier gerade erst die Diskussion über die Anpassungen begonnen. Es ist also damit zu rechnen, dass es noch einige Jahre dauert bis die Änderungen marktrelevant werden. Eine frühzeitige Betrachtung ist ratsam und verhindert Aktionismus am Ende des Designzyklus. Die ersten Angleichungen finden im IEC61000-6-3 und -6-4 statt auch die CISPR32 Edition 3 wird angepasst. CISPR15 Edition 9 beinhaltet bereits die entsprechende Anpassung und wird hier wie oben beschrieben auf andere Standards ausgeweitet. Die Anpassungen an den generischen Standard werden bis Ende des Jahres 2024 erwartet, die Anpassungen der Produktstandards erfolgen im Nachgang. Es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft viele der derzeit gültigen Produktstandards diese Adaption herbeiführen. Des Weiteren wird auch schon an weiteren Themen gearbeitet, die die verbleibende „Bandbreitenlücke“ zwischen 2,5 kHz und 9 kHz in Zukunft schließen sollen.
Warum sind diese Änderungen überhaupt nötig geworden und was ist ihr Ziel?
Nun, die Änderungen waren erforderlich, um mit den technologischen Fortschritten Schritt zu halten und dabei vor allem die zunehmende Anzahl elektronischer Geräte zu berücksichtigen. Ziel ist es, die elektromagnetische Verträglichkeit insgesamt zu verbessern und sicherzustellen, dass elektronische Geräte und Systeme auch in Zukunft störungsfrei nebeneinander funktionieren können.
Wie sieht der konkrete Zeitplan für die Umsetzung aus?
Die generischen Standards nach IEC61000-6-3 und -4 sollten bis zum Ende des Jahre 2024 bzw. Mitte 2025 verabschiedet sein. Diese beiden Standards bilden dann die Grundlage für weitere produktbezogene Vorschriften. Der Zeitplan für die Umsetzung der neuen EMV-Vorschriften sieht vor, dass Produkte innerhalb der nächsten zwölf bis 18 Monate nach Inkrafttreten konform sein sollten. In einer Übergangsphase sind beide, der alte und der neue Standard, gültig. Dabei ist es zum derzeitigen Zeitpunkt nicht klar, bis wann alle Produkte konform sein müssen, denn jede einzelne Arbeitsgruppe, die sich mit den unterschiedlichen Produktstandards beschäftigt, wird sich nicht gleichzeitig auf einen neuen Standard einigen, und auch die Übergangfristen werden je nach Produktkategorie länger oder kürzer sein. Wir rechnen derzeit damit, dass einer der wichtigsten Standards in unserem Umfeld IEC61800 eine Angleichung bis Ende 2026 mit einer mindestens einjährigen Übergangsfrist erfahren wird. Eine Betrachtung des erweiterten Frequenzbereichs birgt aber nicht viel Extraaufwand, wenn man es direkt zu Beginn mit in eine Spezifikation aufnimmt. Hier können indikativ die Grenzwerte der generischen IEC61000 herangezogen werden.
Einer Umfrage unter Ihren Kunden zufolge glauben knapp 90 Prozent der Befragten, dass sie von den Änderungen betroffen sein werden. Welche Branchen und Unternehmen werden am stärksten betroffen sein?
Am stärksten trifft es die Antriebstechnikhersteller sowie die Elektronik-, Telekommunikations- und Medizintechnikbranchen. Dabei gilt es zu beachten, dass die unterschiedlichen Produktnormen gestaffelt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten werden. Unternehmen, die viele elektronische Komponenten verwenden oder herstellen, werden Messungen zur Sicherstellung der Konformität vornehmen müssen, um möglichst gut auf die Änderung vorbereitet zu sein.
Ihre Umfrage zeigt auch, dass 31 Prozent der Befragten noch nicht wissen, wie sie von den Änderungen betroffen sein werden. Was sind die ersten Schritte, die Unternehmen angehen sollten, um sich auf die neuen Vorschriften vorzubereiten? Und welchen spezifischen Herausforderungen werden sie sich dabei stellen müssen?
Zunächst einmal ist eine gründliche Analyse der neuen Vorschriften und deren Auswirkungen auf das eigene Unternehmen beziehungsweise auf die eigenen Produkte wichtig. Unternehmen sollten ein Compliance-Team bilden und Schulungen für die entsprechenden Mitarbeiter anbieten. Eine Herausforderung ist sicherlich die Aktualisierung der Testverfahren und -ausrüstung, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Falls solch umfassende Maßnahmen für ein Unternehmen nicht in Betracht kommen, können wir als Firma TE/Schaffner unterstützend zur Seite stehen. Dabei übernehmen wir die komplette Compliance-Kette – von der Schulung bis hin zum Test.
70 Prozent der Befragten, die sich bereits mit den neuen Vorschriften auseinandergesetzt haben, glauben, dass es über ein Jahr dauern wird, bis sie konform sind. Warum so lange?
Das resultiert aus der Komplexität der erforderlichen Änderungen beziehungsweise der vorherigen Erarbeitung einer Herangehensweise. Die Änderungen sind gravierend und umfassen viele Bereiche wie etwa die Überprüfung und Anpassung von Designs, umfangreiche Testphasen und auch die Aktualisierung der Dokumentation. Zudem müssen viele Unternehmen externe Berater oder Labore einbeziehen, was ebenfalls Zeit in Anspruch nimmt.
Welche Unterstützung bieten Sie als EMV-Experte Ihren Kunden an, um sie auf die neuen Vorschriften vorzubereiten und sicherzustellen, dass sie rechtzeitig konform sind?
Wir bieten umfassende Schulungsprogramme, Webinare und Workshops an, die speziell auf die neuen EMV-Vorschriften zugeschnitten sind. Zudem stellen wir detaillierte Leitfäden und Checklisten zur Verfügung, um den Unternehmen bei der Umsetzung zu helfen. Dabei können wir aus unserem Erfahrungsportfolio aus ähnlichen Applikationen schöpfen. Darüber hinaus steht unser Expertenteam auch für individuelle Beratungen und Unterstützung bei der Durchführung der nötigen Tests zur Verfügung und hilft – nach Definition der nötigen Änderung –, diese im Bereich der EMV-Filter umzusetzen.
Abschließend: Welchen Rat würden Sie Unternehmen derzeit geben, um sich an die neue Situation anzupassen?
Unternehmen sollten sofort mit der Planung und Umsetzung beginnen, statt auf die endgültigen Fristen zu warten. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den neuen Vorschriften kann wesentlich dazu beitragen, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Es ist auch ratsam, externe Experten hinzuzuziehen, um sicherzustellen, dass alle Anforderungen korrekt und effizient umgesetzt werden.
Die Fragen stellte Nicole Wörner.