Die neue Funkanlagenrichtlinie 2014/53/EU wartet mit einer Neudefinition auf: Als Funkanlage definiert sie nun alle elektrischen und elektronischen Produkte, die elektromagnetische Wellen zu Kommunikations- oder Ortungszwecken aussenden oder empfangen. Neu ist, dass damit auch reine Empfänger wie z.B. Radio- und TV-Empfänger unter den Geltungsbereich der Funkanlagenrichtlinie fallen. Modems und andere leitungsgebundene Telekommunikationsgeräte sind hingegen nicht länger Gegenstand der Funkanlagenrichtlinie. Sie werden jetzt von der Niederspannungs- und der EMV-Richtlinie abgedeckt. Ein Funkmodul zum Einbau in ein Notebook gilt selbst als Funkanlage im Sinne der Richtlinie, wenn es eigenständig vertrieben wird. Endgeräte sind natürlich nach wie vor betroffen, ebenso Systeme als Konglomerat aus Produkten, die eine eigene CE-Erklärung haben. Laut Anhang I „Nicht unter diese Richtlinie fallende Anlagen“ der Funkanlagenrichtlinie ausgenommen sind kundenspezifische Sonderanfertigungen (Evaluation Kits) für den Bereich Forschung und Entwicklung.
Grundsätzlich gelten die auch in der Niederspannungsrichtlinie formulierten Anforderungen, wobei die Funkanlagenrichtlinie keine Stichprobentests für die Produkte fordert. In Artikel 10 „Pflichten der Hersteller“, Satz 5 heißt es lediglich: „Die Hersteller gewährleisten durch geeignete Verfahren, dass stets Konformität mit dieser Richtlinie bei Serienfertigung sichergestellt ist.“ Im Hinblick auf die Begleitunterlagen gibt es einige Neuerungen: Die Funkanlagenrichtlinie schreibt vor, dass in der Betriebsanleitung, anders als bisher, Angaben über die Sendeleistung – verwendete Frequenzbereiche, maximale Sendeleistung dieser Frequenzbänder – gemacht werden müssen (Artikel 10 „Pflichten der Hersteller“, Satz 8).
Darüber hinaus müssen neben Betriebsanleitung und Sicherheitsinformationen, sofern die Marktüberwachungsbehörden dies verlangen, auch technische Dokumente und insbesondere Testberichte in die von den Behörden festgelegte Sprache übersetzt werden. Erfüllen die technischen Unterlagen die in der Richtlinie festgelegten Anforderungen nicht, können die Marktüberwachungsbehörden den Hersteller oder Importeur auffordern, die Konformität des Produkts durch eine von der Behörde zugelassene Stelle auf eigene Kosten prüfen zu lassen (Artikel 21 „Technische Unterlagen“, Satz 4). Für die CE-Erklärung gilt: Sie muss in die jeweilige Sprache des Mitgliedstaates übersetzt und im Internet veröffentlicht werden. Einige Aspekte werden noch zwischen EU-Gremien und Herstellerverbänden diskutiert, etwa die Notwendigkeit, Zubehör und Soft- bzw. Firmware aufzuführen, die den bestimmungsgemäßen Betrieb der Funkanlage ermöglichen. Ebenfalls geändert und in einigen Bereichen ausgeweitet wurden die Kennzeichnungspflichten: Um Produkte besser nachverfolgen zu können, müssen neben den Kontaktdaten des Herstellers und des Importeurs Typen-, Chargen- und Seriennummer auf dem Produkt angegeben werden. Dem CE-Zeichen muss, wenn eine benannte Stelle (Notified Body) an der Konformitätsbewertung beteiligt war, deren Kennnummer angefügt werden. Auf der Verpackung ist anstelle der bisherigen Länderliste eine Negativliste anzubringen, in der alle Länder aufgeführt sind, in denen der Einsatz des betreffenden Produkts mit Restriktionen belegt ist. Diese Beschränkungen müssen in der Betriebsanleitung näher erläutert werden.
Begleitunterlagen: Klärungsbedarf
Neben den erwähnten Punkten, die noch diskutiert werden, gibt es insbesondere bei der Übersetzung der Begleitunterlagen eine ganze Reihe von Unklarheiten. Die einzelnen Richtlinien sind hier nicht einheitlich formuliert. Ein zentraler Kritikpunkt der Herstellerverbände ist in diesem Zusammenhang, dass die Richtlinien in den derzeitigen Fassungen bei ihren Anforderungen an die Verständlichkeit nicht zwischen privatem Endanwender und professionellem Anwender unterscheiden – das ist zum Beispiel relevant für Produkte, die ausschließlich von ausgebildetem Fachpersonal installiert und bedient werden. Offen ist auch, welche konkreten Begleitunterlagen mehrsprachig vorliegen müssen und was genau mit der Formulierung „Sprachen des Ziellandes“ gefordert wird. Da eine klare Definition hier aussteht und in der Regel alle EU-Länder beliefert werden, ist die Verwendung der offiziellen EU-Sprachen empfehlenswert. Die IKT-Herstellerverbände bemühen sich aktuell um Klärung dieser offenen Fragen.
Rechtssicherheit bei der Vermarktung von Elektronikgeräten
Die neuen Richtlinien sind ein weiterer Schritt, den Regulierungsbehörden stärkeren Durchgriff auf die verantwortlichen Marktteilnehmer zu verleihen. Die Ausweitung des Kreises der Verantwortlichen auf Distributoren bedeutet gleichzeitig eine Verschärfung und eine Präzisierung der Richtlinien – insbesondere dieser Punkt wird den Markt für Elektronikgeräte verändern.
Für Unternehmen ist die Umsetzung mit einigem bürokratischem Mehraufwand und Zusatzkosten verbunden, denen auf Seiten der Verbraucher nicht immer ein entsprechender Nutzen gegenübersteht. Angesichts des Aufwandes sollte aber nicht aus dem Blick geraten, dass das „New Legislative Framework“ mittel- und langfristig auch erhebliche Chancen bietet: Es sorgt für einheitliche europäische Qualitätsstandards und für Rechtssicherheit bei der Vermarktung von Elektronikgeräten. Das nutzt nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den Unternehmen, die bei der Erfüllung der Richtlinien vorangehen und sich dadurch Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitanbietern sichern.
Literatur
[1] Richtlinie 2014/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit (Neufassung). Amtsblatt der Europäischen Union, L 96/79, 26.2.2014, eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32014L0030&qid=1436196489336
[2] Richtlinie 2014/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen auf dem Markt. Amtsblatt der Europäischen Union, L 96/357, 26.2.2014, eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1436196657961&uri=CELEX:32014L0035
[3] Richtlinie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/5/EG. Amtsblatt der Europäischen Union, L 153/62, 22.5.2014, eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32014L0053
[4] „Blue Guide“, Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU. Europäische Kommission, 2014, ec. europa.eu/DocsRoom/documents/4942
Der Autor
Holger Brandt |
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ist gebürtiger Hildesheimer. Er studierte Elektronik an der Fachhochschule Aalen und trat 1988 in die Siemens AG ein. Nach Tätigkeiten im Prüffeld wechselte er in das Qualitätswesen von Tektronix. Heute arbeitet er im Product Compliance Center von Fujitsu Technology Solutions in Augsburg und ist als Global Certification Manager u.a. zuständig für die Themen internationale Zertifizierung und weltweite Produktanforderungen. |
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