Kommentar

Deshalb braucht die deutsche Chip-Industrie Profi-Lobbyisten

29. November 2013, 12:59 Uhr | Frank Riemenschneider
© Infineon Technologies AG

Täglich grüßt das Murmeltier: Während die Bundesregierung die Chip-Industrie weitestgehend ignoriert und auch der neue Koalitionsvertrag wenig Hoffnung auf Besserung gibt, fließen EU-Fördergelder primär nach Frankreich. Leider ist die deutsche Industrie nicht ganz unschuldig an dieser unglücklichen Situation.

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Frank Riemenschneider, Elektronik
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© Componeers GmbH

Dass der Anteil der Chip-Fertigung in Europa und Deutschland im weltweiten Vergleich mit Amerika und Asien immer geringer wird, ist eine ebenso lange bekannte Erkenntnis wie die Tatsache, dass sie für die deutsche Automobil- und Automatisierungs-Industrie, beides Stützen unseres Wirtschaftssystems, immer wichtiger werden – Industrie 4.0. und ADAS (Advanced driver assistance systems) sind hier nur zwei Stichworte.

Fakt ist auch, dass die Chip-Industrie in den letzten Jahren ironischerweise auf EU-Ebene eine höhere Aufmerksamkeit genossen hat als bei der Bundesregierung, obwohl neben Frankreich, Italien, Holland, Belgien und eben Deutschland nur wenige Mitgliedsländer Interesse an Chip-Fabriken haben dürften.

Dass EU-Kommissarin Neelie Kroes, zuständig für die sogenannte “Digitale Agenda”, in Brüssel sicherlich die größte Treiberin des Themas ist, ist unbestritten. In ihrer schon heute lengendären “Airbus-of-Chips”-Rede erklärte sie den politischen Willen, bis 2020 den Anteil der europäischen Chip-Fertigung mit entsprechenden Förderprogrammen auf 20 % anzuheben, eine Verdoppelung des Ist-Zustandes. Als sie dazu am 29. Mai nach Brüssel einlud, um im Rahmen des "EU's Future Strategy For Micro- and Nano-Electronics"-Events konkrete Maßnahmen zur Umsetzung zu diskutieren, schickte die italienische Regierung Forschungsministerin Prof. Maria Chiara Carrozza, Frankreich deren Amtskollegin Geneviève Fioraso und Holland sowie Belgien zumindest die zweite Führungsebene in Form zweier Staatssekretäre.

Die Bundesregierung ließ hingegen mitteilen, dass sich "niemand gefunden habe, der nach Brüssel reisen wolle" - um die Totalblamage abzuwenden, wurde Ersatz beim tapferen sächischen Ministerpräsidenten Tillich gesucht, der dank “Silicon Saxony” schon lange als deutscher Vorzeige-Kämpfer für die Mikroelektronik gilt, und der letztendlich seinen Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Sven Morlok, nach Brüssel schickte.

Im Wirtschaftsministerium in Berlin werden nebenbei bemerkt Chips in derselben Kategorie Sachgüter geführt wie z.B. Teppiche – ob ein Teppich hilft, innovative Autos oder Roboter am Weltmarkt zu verkaufen, sei freilich einmal dahingestellt. Zumindest erklärt diese Haltung auch, warum für die deutsche Industrie hochgradig relevante Messen wie Embedded World und SPS IPC Drives unter Ausschluß der Publikumspresse und Politik stattfinden, während eine CEBIT mit primär taiwanischen und anderen asiatischen Ausstellern von der Frau Bundeskanzlerin persönlich eröffnet wird – mit ARD und ZDF im Schlepptau, versteht sich.

Im neuen Koalitionsvertrag steht auf Seite 20 zumindest ein Absatz zum Thema Mikroelektronik: “Auch die Mikroelektronik wollen wir mit Blick auf die Digitalisierung unserer Industrie und der Sicherung eigener Fähigkeiten in diesem Sektor als eine der Schlüsselindustrien für die Zukunft sichern und die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland weiter verbessern.” Wann und in welchem Umfang das passieren soll, bleibt bei dieser unverbindlichen Absichtserklärung freilich offen, ganz im Gegensatz z.B. zum Breitband-Internet-Ausbau, einer Herzensangelegenheit des IT-Branchenverbandes BITKOM – der es immerhin schaffte, 3 Seiten Koalitionsvertrag der “digitalen Agenda” widmen zu lassen – dort geht es um IT und Kommunikation statt um Chips.

Am 29. Mai lud Eu-Kommissarin Neelie Kroes zur großen Chip-Tagung nach Brüssel - von der Bundesregierung fand sich kein Teilnehmer.
Am 29. Mai lud Eu-Kommissarin Neelie Kroes zur großen Chip-Tagung nach Brüssel - von der Bundesregierung fand sich kein Teilnehmer.
© Fraunhofer Group fpr Microelectronics

Die deutsche Chip-Industrie hat deutliches Optimierungspotential

Die Gründe dafür, warum es Chips als Enabler innovativster Produkte aus Deutschland nicht auf die Top-Agenda der Bundesregierung geschafft haben, sind vielfältig. Zum einen interessieren sich immer noch diverse CEOs von Automotive-OEMs dank ihres Maschinenbau-Hintergrunds eher für Spaltmaße und Kolbenhub als für ECUs – sie glauben schlichtweg, dass Chips wie Schrauben austauschbare Teile sind, die man überall auf dem Weltmarkt einkaufen kann.

Dies ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit und erklärt z.B. weder, warum in Frankreich das Programm “Nano 2017” von Premierminister Jean-Marc Ayrault persönlich vorgestellt wurde – natürlich mit entsprechendem Presserummel – noch warum EU-Fördergelder primär in französische Projekte zurückfließen. Wenn man den Wafer-Ausstoß des Standorts Grenoble mit dem von Dresden vergleicht und gleichzeitig feststellen muß, dass beim EU-Programm “CATRENE” im Zeitraum von 2008 bis 2012 doppelt soviele französische Projekte wie Deutsche gefördert wurden, dann sollte man sich m.E. auch auf der deutschen Industrieseite einmal hinterfragen, ob man denn auch wirklich genug tut.

Unter Leitung von Ex-Infineon-CEO Peter Bauer und der sächischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, wurde ein Arbeitskreis “Silicon Germany” installiert, der von den Namen her hochrangigst besetzt ist: Infineons CEO Dr. Reinhard Ploss, X-Fab-Chef Hans-Jürgen Straub, Frauenhofer-Chef Prof. Hubert Lakner und sogar Bosch-Geschäftsführer Dr. Volkmar Denner nehmen an den Treffen teil, um über die bessere Positionierung der Mikroelektronik auf politischer Ebene zu diskutieren. Es ist als sehr positiv zu bewerten, dass sich überhaupt eine derartige Runde etalbliert hat, nachdem über Dekaden ja jeder sein eigenes Süppchen gekocht hatte und/oder der naiven Annahme erlegen war, dass Branchenverbände wie BITKOM die Interessen der Mikroelektronik vertreten würden – von den geschätzten 300 BITKOM-Pressemeldungen des Jahres 2013 betrafen diese genau Null, während es mindestens 50x um Smartphones und Tablets und ebenso oft um das Breitband-Internet ging.

Das Problem des erlauchten Kreises besteht lediglich darin, dass er auf ehrenamtlicher Mitarbeit basiert – ein Dr. Ploss muss ja z.B. “nebenbei” noch einen DAX-Konzern mit mehr als 25.000 Mitarbeitern leiten - und daher eher seltener als öfter zusammenkommt (3-4x pro Jahr sollen laut Teilnehmerkreisen realistisch sein) sowie mit hunderten Vollzeit-Lobbyisten unterschiedlichster Herkunft um die Gunst der Aufmerksamkeit im politischen Berlin wetteifern muß – eine mehr als trostlose Vorstellung, wenn man nur bedenkt, wieviele Lobbyisten alleine Google und Microsoft nach Berlin geschickt haben, um das IT-Thema weiter hochzukochen.

Auch bei Politikern gilt: “Aus den Augen, aus dem Sinn”. Wenn man bedenkt, dass diese von unterschiedlichsten Lobby-Gruppen mit wöchentlich hundert Einladungen zu Abendessen, Veranstaltungen und Fortbildungen konfrontiert werden, ist es natürlich schwierig, etwas mit einem ehrenamtlichen Arbeitskreis zu erreichen – ein Brüsseler Vollzeit-Lobbyist sagte mir einmal: “Sie müssen bei dem Politiker quasi auf dem Schoß sitzen und ihm dieselbe Message 100x zutragen, damit er sich bei Besprechungen daran erinnert und wirklich etwas passiert”.

Nun handelt es sich bei den Teilnehmern ja nicht um Chefs von irgendwelchen Klitschen ohne jede finanzielle Mittel, sondern um Unternehmen mit z.T. Milliarden-Bilanzsummen. Es will sich mir auch nach 5 Jahren Marktbeobachtung immer noch nicht erschließen, warum man es nicht schafft, eine eigene Lobby-Organisation – zum Start wenigstens mit einer zweistelligen Anzahl Vollzeit-Mitarbeitern – auf die Beine zu stellen, die parallel an 3 Fronten arbeiten könnten:

1) Brüssel: Lobbyarbeit mit dem Ziel des Abgreifens von anteilig mehr EU-Fördergeldern als heute.

2) Berlin: Lobbyarbeit bei Forschungs- sowie Wirtschaftsministerium und Abgeordneten in einem vergleichbaren Umfang zu anderen Industrien/Interessenverbänden mit dem Ziel, mehr Fördergelder und auch mediale Aufmerksamkeit zu erhalten, letzteres dadurch, dass Hochkaräter (Minister, Staatssektretäre) Chips auf ihre Agenda setzen.

3) Deutsche Schlüsselindustrien: Lobbyarbeit bei OEMs und VDMA/VDA, um diese für die Relevanz der Chipfertigung in Deutschland zu sensibilisieren und sie als Interessen-Vertreter-Multiplikatoren bei der Bundesregierung zu gewinnen.

Natürlich werden sich die beteiligten Unternehmen nach dem Return of Investment fragen. Dieselbe Frage stellte sich für den Staat jedoch auch, als einst mit Subventionsgeldern Chip-Fabriken in Dresden gebaut wurden. Wenn man sich heute die zusätzlichen Arbeitsplätze und damit verbundenen Steuereinnahmen anschaut, haben sich diese Investitionen leicht armortisiert. Die wenigen Mio. Euro pro Jahr für die Arbeit von Vollzeit-Lobbyisten sind nach meiner Überzeugung Peanuts, wenn man sich das zu erschließende Potential anschaut.

Man müsste lediglich endlich (!) einmal den Mut aufbringen, zu klotzen statt zu kleckern – unsere französischen Nachbarn haben das offensichtlich schon begriffen.


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