Schwerpunkte
10. Oktober 2019, 16:55 Uhr | Von Helmuth Lemme
Die genannten »Crystal LED«-Module von Sony waren wahrscheinlich die ersten kommerziell verfügbaren. Daraus lassen sich Groß-Displays nach Wunsch zusammensetzen. Samsung startete vor kurzem eine erste Serienfertigung von Fernsehern in verschiedenen Größen, hauptsächlich 75 Zoll (1,90 m), Auflösung 4 K, wie es heißt »für einen größeren Absatzmarkt«. Sie sind ebenfalls modular aufgebaut, nachträglich erweiterbar; die Pixeldichte bleibt dabei gleich, der Bildinhalt wird hochskaliert.
Die Preise liegen weit über denen der OLED-Geräte und steigen stark überproportional mit der Größe. Auch LG will einsteigen. Das 146-Zoll-Display von Samsung ist angeblich kommerziell erwerblich, den Preis erfährt aber nur, wer wirklich bestellt. Angeblich soll er im sechsstelligen Dollarbereich liegen, sodass von einer Serienproduktion im Sinne von hohen Stückzahlen nicht gesprochen werden kann.
Ganz am anderen Ende der Größenskala gibt es aber auch Mikro-Displays mit Flächen bis etwa 2 cm², die direkt vor dem Auge durch eine Lupe betrachtet werden, etwa in Datenbrillen für erweiterte oder virtuelle Realität. Auf diesem Gebiet arbeiten beispielsweise Plessey in Großbritannien oder VueReal in Kanada, letztere Firma nennt eine Pixeldichte von 30.000 ppi. Auch für kleine tragbare Geräte wie Smartwatches, Fitness-Armbänder usw. erscheinen sie geeignet. Ob sie irgendwann in Smartphones und Laptops/Tablets einziehen, hängt sehr stark von der Preisentwicklung ab, weil dort ein hoher Kostendruck herrscht.
Die Bauweise solcher Displays ist uneinheitlich. Die Hersteller treiben die Entwicklung weitgehend unabhängig voneinander voran und jeder verfolgt ein eigenes Konzept. Die Uneinheitlichkeit beginnt bei der Größe der LED-Chips, die zwischen einigen µm und einigen 100 µm variieren kann. Dann die Farberzeugung: Die meisten Hersteller verwenden für die blauen und grünen LEDs Gallium-Nitrid und für die roten Aluminium-Indium-Gallium-Phosphid (AlInGaP). Einige nehmen aber auch nur Gallium-Nitrid-LEDs und versehen sie zum Teil mit grünen oder roten Konversionsstoffen (konventionellen Phosphoren oder auch Quantenpunkten) wie bei den Beleuchtungs-LEDs.
Bei der Montage stehen zwei grundsätzliche Prinzipien im Wettbewerb zueinander: Bei dem einen werden die LEDs zunächst mittels metallorganischer chemischer Gasphasenabscheidung (MOCVD) auf vorläufigen Substraten abgeschieden (Bild 5). Die Herausforderung ist dabei, eine extrem hohe Gleichmäßigkeit der LEDs bei Farbnuance und Helligkeit zu erreichen, damit das Display nachher nicht scheckig aussieht. Sie werden dann abgelöst und auf die unabhängig davon hergestellte Backplane übertragen, die die ansteuernde Elektronik trägt
Das in Bild 6 gezeigte Verfahren ist nur eines von vielen. Konventionelles Einzel-»pick & place« wie bei SMD-Bauelementen scheidet wegen der sehr großen Anzahl an zu montierenden LED-Chips aus. Pro Arbeitsschritt sind Tausende bis Millionen parallel zu übertragen – mit Fehlerrate Null. In den Details der Montage geht jede Firma ihre eigenen Wege. Ein technisch reifes und wirtschaftliches Verfahren scheint bisher aber noch niemand gefunden zu haben.
In einer alternativen Methode lässt man die LEDs direkt auf der Backplane aufwachsen. Der aufwendige Zwischenschritt mit Bestücker entfällt zwar, aber dafür tauchen andere Schwierigkeiten auf. Besonders bei sehr großen Flächen stößt das Verfahren noch an Grenzen. Die Technik befindet sich insgesamt noch im Anfangsstadium.
Auch ist die optimale Struktur der Backplane noch nicht endgültig geklärt. Entweder scheidet man auf dem Substrat Dünnfilmtransistoren (TFTs) aus Poly-Silizium (LTPS) oder Oxiden (InGaZnO) ab, oder aber man montiert einzelne Chips aus kristallinem Silizium (CMOS). Beide Methoden sind parallel in Untersuchung, welche sich letztlich durchsetzt, hängt von der Kostenentwicklung ab. Die Mikro-Displays verwenden einen durchgehenden Siliziumchip.
Bei der Herstellung ist weitgehend Neuland zu beschreiten. Sie unterscheidet sich im Vergleich zu LCD und OLED deutlich und für eine funktionierende Massenproduktion ist eine ganz andere Wertschöpfungskette nötig. Ein einzelnes Unternehmen stößt dabei schnell an seine Grenzen, Kooperationen sind unumgänglich. Nicht nur die Display-Hersteller selbst, auch zahllose Zulieferer und Ausrüster sind eingebunden. Darunter finden sich auch deutsche Unternehmen wie Aixtron. Bis alle beteiligten Unternehmen die nötigen Prozesse aufeinander abgestimmt haben, sind noch lange Verhandlungen nötig. Insgesamt dürften weltweit über 100 Firmen direkt oder indirekt an der Produktion beteiligt sein.
Die Pionierarbeit ging von Firmen aus dem asiatischen Bereich aus – Sony, Samsung, LG und einige in China ansässige Unternehmen –, aber auch einige Vertreter aus der westlichen Hemisphäre versuchen mitzuhalten. Selbst reine Systemintegratoren, die das Display lediglich in ihre Produkte integrieren wollen, interessieren sich stark für die Technik, allen voran Apple. Der Gigant hatte bereits 2014 vorausschauend die Firma Luxvue aufgekauft, einem der Vorreiter bei Mikro-LED-Displays. Apple soll damit schon einen Prototyp einer SmartWatch vorgestellt haben.
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit wird weltweit betrieben und intensiviert. Der bestimmende Faktor für den Durchbruch einer neuen Technik sind so gut wie immer die Kosten und die hängen eng mit der Produktionsausbeute zusammen. Die ist bei neu eingeführten Prozessen zunächst immer schlecht und verbessert sich allmählich. Diese Entwicklung langfristig vorherzusagen, birgt große Unsicherheiten.
Bei umwälzenden Innovationen wird häufig die Gartner-Hype-Kurve zitiert: anfangs ein steiler Anstieg der Erwartungen bis zu überzogener Euphorie und danach ein ebenso steiler Abfall ins Tal der Ernüchterung. Nach diesem folgt oft, aber nicht immer, ein erneuter Anstieg auf ein weniger hohes Niveau mit Versachlichung der Diskussion. Meist pendelt sich die Kurve auf eine mittlere Erfolgslinie ein.
Die OLEDs haben diese mittlerweile erreicht. Die Mikro-LEDs befinden sich noch in der ersten Phase – wobei einige Insider die zweite schon vorausahnen. Die weitere Entwicklung wird davon abhängen, ob und wie schnell die Massenfertigung technisch beherrschbar und bis zur Wirtschaftlichkeit gebracht werden kann. Ob Mikro-LEDs die nächste Display-Generation mit breitem Anwendungsgebiet ermöglichen werden oder aus Kostengründen auf Nischenmärkte beschränkt bleiben, dazu herrschen auch unter erfahrenen Marktforschern stark unterschiedliche Meinungen.
Ian Hendy, Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Hendy Consulting, der seit vielen Jahren die Bewegungen in der Display-Industrie genau verfolgt, hält vier verschiedene Szenarien für denkbar:
Sehr optimistisch sieht das britische Unternehmen IHS Markit die Entwicklung. Gerade ist ein umfangreicher Bericht erschienen, der für die nächsten Jahre bis 2026 eine drastische Senkung der Produktionskosten und ein entsprechend schnelles Wachstum der Stückzahlen prognostiziert, Bild 7.
Noch euphorischer ist Yole Developpement in Frankreich mit mehr als doppelt so hohen Zahlen, Bild 8. Wieder andere Marktforscher nennen statt der Stückzahlen Umsätze – die wegen der Unsicherheit beim Preisverfall nicht vergleichbar sind.
Wer letztlich recht behält, wird man erst in einigen Jahren wissen. Auf jeden Fall herrscht im Moment überall fieberhafte Aktivität.